Widerstände
Etwas
neues Lernen heißt auch immer die eigene Person in
Frage zu stellen. Das ist nicht leicht zu tun, wie das lernen
eines neuen Segelknotens, eines neuen Kochrezeptes oder einer
neuen Fremdsprache. Dieses Lernen macht auch immer Angst, es
gibt auch immer einen Widerstand dagegen. Man betritt Neuland
und verlässt etwas, dass einem vertraut war, so problematisch,
anstrengend und begrenzend es auch war, man kannte sich damit
gut aus. In dem Film ‚Der Krieger und die Kaiserin’ (Deutschland,
2002) sagt jemand seinem Bruder immer wieder ‚komm runter
vom Klo!’ was so viel heißt wie, lebe heute! Bleibe
nicht darin stecken, was dich einmal aus der Bahn geworfen
hat! Der eine Bruder ist am anderen verzweifelt, weil dieser
nicht
in der Gegenwart ohne Schrecken ankommt. Er kann ihm damit
praktisch in einzelnen Situationen helfen, ihn nicht aber in
das neue Leben
schieben. Das geschieht nachher fast von selbst, als er durch
das gewonnene Vertrauen zu einer Frau einen Teil von sich
gehen lassen kann.
Co-Counseln kann so etwas nicht machen, Co-Counseln kann
vorbereiten, dass so etwas möglich wird. Sich mit dem Widerstand zu beschäftigen,
der sich vor einem aufrichtet, wenn man an der Grenze ist etwas
neues zu tun, ist ein Sich-Ernst-Nehmen – auch wenn man
den ‚Ratschlägen’ dieses Widerstandes nicht
immer zu folgen hat. Sich mit diesem Widerstand zu beschäftigen
ist häufig wichtiger als Arbeiten am Problem selbst. Wenn
man über seine Grenzen geht, vielleicht mit dem Schwung
der gerade hervorbrechenden Emotionen, kann lähmende Angst
entstehen und neue Blockaden ausgelöst werden.
Man kann sich solch einem Widerstand mit den folgenden Fragen
zuwenden:
Warum fällt es mir schwer davon zu sprechen?
Was ist überhaupt schwer daran?
Wovor habe ich Angst? ...
Was lässt mich zögern / zurückweichen?
Geht man in Sitzungen über solche Gefühle hinweg, kann
es sein, dass man immer wieder von seiner Angst zurückgeholt
wird, wie von einem Gummiband, dass einen immer wieder an den
Anfangspunkt zurück zieht. Der Counseler sollte den Klienten
aus dem Grund nicht puschen, schubsen oder wie auch immer das
druckauslösende Verhalten auf jemand anderen umschrieben
wird. Der Counseler hilft einen sichtbaren, sicheren großen
Raum zu schaffen. Dieser Raum ist meist genug Konfrontation
für den Klienten.
In dem Gedicht 'Ich wollte nicht' von Charles Bukowski
(Gedichte vom südlichen Ende der Couch 1984) wird sehr
eindringlich der Widerstand gegen das Lernen und verändern
sollen beschrieben und es wird beschrieben, wie viel wunderbares
sich auf Umwegen
und unbeabsichtigt entwickeln kann, wenn Widerstände nicht
im Wege stehen.
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Ich wollte nicht
Ich war immer schlecht auf der Schreibmaschine
und lernte nie richtig buchstabieren
weil ich nicht wollte.
Ich lernte auch nie richtig autofahren
und erstand meinen ersten Wagen für 35 Dollar
bei einem Gebrauchtwagenhändler, stieg
mit meiner beschickerten Freundin ein, und
in der ersten Linkskurve nahm ich
fast die Wand eines Krankenhauses mit.
Ich gab mir keine Mühe in Musik, denn ich
hatte etwas gegen die Lehrerin mit ihrer
weißen Perücke und ihrem gepuderten Gesicht.
Ich landete beim Kadettenverein, weil ich
keinen Sport machen wollte, und sie stellten mich
zu einem Wettbewerb im Griffekloppen auf, ich
wollte nicht siegen und wurde Erster und sie
gaben mir eine Medaille, die ich anschließend
in einen Gully warf.
Ich lernte nichts in Musik, und heute
höre ich mir mehr klassische Musik an
als die ersten hundert Menschen, die dir
auf der Straße begegnen.
Ich machte mir nichts aus Geld, und meine erste Frau
hatte eine Millionenerbschaft in Aussicht.
Sie gab mir den Laufpass und ich habe
nie mehr eine geheiratet.
Ich hasste Dichter und ich hasste Gedichte
und fing an Gedichte zu schreiben.
Und eines Tages sah ich mich um und war
in Hamburg, Germany, und vor mir saßen
mehr als tausend Leute, in den Sitzreihen,
in den Gängen, sogar im Dachgebälk.
Ich las ihnen Gedichte vor, und sie
nahmen es mir ab.
Ich wollte keine Bücher lesen, aber ich
versuchte es mit den Werken großer Dichter und
Romanschriftsteller, die im Laufe der Jahr-
hunderte schon Tausende von Menschen begeistert
hatten, und die Bücher sanken mir aus der Hand
und die Augen fielen mir zu.
Ich ging in Museen und sah mir die großen
Gemälde an und war gelangweilt.
Das machte mir nichts aus. Ich fand,
dass nicht mir was fehlte, sondern
denen.
Es fällt mir schwer, mich über etwas aufzuregen
oder für etwas zu interessieren.
Wenn mich ein Polizist anhält wegen irgendeiner
Ü bertretung, sinke ich einfach in ein
Meer von Verdrossenheit.
» Wollen Sie wissen, was Sie gemacht haben, Sir?«
fragt er.
» Nein«, sage ich.
Auch mit Frauen habe ich dieses Problem.
» Hör mal, du sitzt nur rum und sagst nichts«,
sagen sie. »Also da stimmt doch was nicht,
wenn du nur rumsitzt und nichts sagst!«
Ich leere mein Glas und gieße mir nach.
» Los«, sagen sie, »lass uns darüber reden,
damit wir das klären!«
» Ich will nichts klären«, sage ich.
Nicht einmal schreiben will ich. Und wenn ich
etwas schreibe, rutscht mir oft ein unverständliches
Wort heraus und ich lasse es einfach stehen. Oder
ich vertippe mich. Sagen wir mal, ich will ein
> g< tippen und treffe ein >h<, und wenn es am
Anfang eines Worts passiert, verwende ich eben
ein Wort, das mit >h< anfängt.
Ist doch egal.
Selbst bei Pferdewetten verliere ich manchmal
das Interesse. Einmal fuhr ich von L. A.
rüber nach Mexiko, zur Rennbahn von Caliente,
und auf halber Strecke spürte ich so einen
Drall nach rechts, bog vom Highway ab, fuhr
eine Straße runter und hielt vor einem Geländer
am Rand einer Klippe. Ich stieg aus und setzte
mich vorne an die Kante. Zum Meer ging es 40
oder 60 Meter senkrecht runter, das Meer
hatte mich noch nie begeistert, aber ich
blieb da sitzen, denn ich wollte einfach
nicht mehr zum Pferderennen. Ich dachte
an gar nichts, saß nur da, fühlte mich weder gut
noch schlecht. Nach einer Weile fielen mir
drei Eichhörnchen auf, die an der steilen
Felswand zu mir hoch kletterten.
Sie kamen näher und näher, machten jedes Mal
einen kleinen Satz von 15 Zentimetern oder so,
blieben sitzen, sahen mich an und hüpften
weiter herauf. Sie kamen unglaublich nah heran,
und diese Augen - ich hatte noch nie solche
Augen gesehen, schon gar nicht bei einer Frau,
keine Spur von Heimtücke. Und die Augen von
Männern interessierten mich nicht.
Dann, ganz plötzlich, rannten sie weg,
huschten blitzschnell die Felswand wieder
hinunter, ohne ins Meer zu fallen, und ich
fühlte mich minderwertig, als Mensch und
erst recht als Schriftsteller, und ich
dachte: Es wird mir nie gelingen, das zu
beschreiben.
Ich zahlte wirklich nur 35 Dollar für mein
erstes Auto, und ich fragte den Mann:
» Springt es auch an? Hat es einen Zündschlüssel?«
Die Federung war hin und der Rückwärtsgang auch
und die Scheinwerfer gingen nur an, wenn man
voll durch ein Schlagloch fuhr, und um
anfahren zu können, musste ich immer an einer
steilen Straße parken.
Es lief zwei Jahre ohne einen einzigen Ölwechsel
und als es nicht mehr wollte, ließ ich es einfach
stehen und ging weg. Die betrunkene Frau
die bei jener ersten Fahrt dabei war, lebte
noch eine Weile, mit mir und ohne mich,
doch meistens mit mir. Als sie starb, begrub
ich sie an einem sonnigen Nachmittag
nördlich von Anaheim. Am meisten gefiel mir an ihr
dass sie nie sagte: »Lass uns mal darüber reden.«
Sie arbeitete als Stenotypistin in einem großen
Möbelhaus in der Innenstadt und sie hatte
die schönsten Beine, die ich je gesehen habe.
Ich hätte mich mehr um sie kümmern sollen
aber ich wollte nicht.
(c) 1981 Charles Bukowski
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