Handbuch
zum Co-Counseln (Co-Counselling)

2 Selbstwahrnehmung

Ziel
Das bewusste Wahrnehmen von Gefühlen, Gedanken und Körperempfindungen während des Selbstklärungsprozesses soll dem Klienten wichtige Hinweise über sich selbst geben.

Methode
Der Klient nimmt sich selbst wahr, und der Counseler beleuchtet dies gewissermaßen mittels seiner Aufmerksamkeit. Der Klient achtet auf seine Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen) und auf seinen inneren Prozess (Gedanken, Bilder, Gefühle und was im Körper passiert). Was er in der Situation wahrnimmt und erfährt, beschreibt er genau, ohne es gleich zu erklären und zu begründen. In diesem Sinne heißt Selbstwahrnehmung, aufmerksam sein für die spontan erwachenden Lebensprozesse in sich selbst

Vorschläge des Counselers dazu
Was passiert?
Was fühlst du?
Welche Farbe hat das Gefühl?
Der Gedanke?
Welche Gestalt hat der Gedanke?
Was machst du mit den Händen?
Was passiert (bei dir)?
Wo im Körper?
Was sagt der Körperteil?

Beachte
In allen Phasen einer Sitzung ist es für den Klienten wichtig, neben dem Prozess, in dem er über etwas spricht und sich ausdrückt, darauf zu achten, was mit ihm (in ihm) dabei passiert. Das parallel zu betrachten, kann ihm oft wichtige Hinweise über sich selbst geben, die ihm sonst möglicherweise nicht zugänglich geworden wären. Was so durch das Zuhören von sich selbst beim Reden in den Blick gerät, (oder, um im Bild zubleiben, ins Ohr) kann sich manchmal deutlich von dem Bild unterscheiden, was der Klient gerade selbst beim Sprechen von sich hatte.

Hintergrund
Viele der Annahmen über sich selbst sind auch Ergebnis einer Zensur, die Unangenehmes und Unbekanntes ausblendet. Wenn der Klient über sich spricht ist eine solche Zensur als Wahrnehmungsmuster fast immer wirksam und, wie es in der Natur der Sache liegt, für die Intentionen, neue Möglichkeiten für sich zu entdecken, hinderlich. Für seinen Klärungsprozess kann der Klient seinen Spielraum für Neues vergrößern, wenn er von eigenen Erlebnissen möglichst konkret spricht, ohne sie sofort einzuordnen und zu bewerten. Am wenigsten der Zensur unterworfen und am produktivsten für Neues ist es, wenn das in den Blick genommen wird, was dabei unwillentlich in einem vorgeht, wie etwa Körperempfindungen, Phantasien oder Bilder. Diesen inneren Antworten auf sich selbst Aufmerksamkeit zu schenken, kann dem Klärungsprozess wertvolle neue Impulse geben. Sogar wenn die Einfälle zuerst keinen direkten Zusammenhang mit dem gerade Gesagten erkennen lassen, kann einem vielleicht die Beschäftigung mit ihnen erst wirklich neue Perspektiven eröffnen. Darüber hinaus bleibt vieles von dem, was in mir vorgeht, auch unbeachtet, da es durch einen ’Bedeutungsfilter’ betrachtet als unwichtig abgetan wird. Ein offenes Ohr für all diese inneren Regungen zu haben, heißt Sensoren für neue eigene Möglichkeiten eingerichtet zu haben. Allein dadurch erlaubt sich der Klient bereits mehr zu sein, als er bisher zu sein glaubte. Die Heilung in einem kann beginnen durch die Berührung mit der eigenen Wahrheit, mit der körperlichen und seelischen Kontaktaufnahme, mit dem Schmerz und allem, was daraus folgt.
Ein von der Psychoanalyse als sehr wichtig erachteter Aspekt der Selbstwahrnehmung wird in der folgenden Technik ‚Assoziatives Sprechen’ beschrieben.
Selbstwahrnehmung hilft vergessenem, verdrängtem auf die Spur zu kommen. Der österreichische Tiefenpsychologe und Psychotherapeut Erwin Ringel schreibt dazu: "Vergessen, verdrängen bedeutet aber resignieren; nur Bewusstes kann verändert werden, Unbewusstes natürlich nicht. Und so werden durchaus revidierbare Dinge erst durch Verdrängung unveränderbar".

 

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