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Provokative Technik
Ziel
Man möchte das Verantwortungsgefühl für sich
selber herausfordern und herauslocken und seinen Willen zur
konstruktiven Veränderung mobilisieren.
Methode mit Vorschlägen
des Counselers
Grundlage jeder provozierenden Intervention ist das Bewusstwein,
liebevoll angenommen und wertgeschätzt zu sein. Das
erst setzt den Klienten in die Lage Provokationen nicht als
verletzend und beleidigend zu verstehen, sonder als humorvoll,
herausfordernd und unterstützend. Das ist während
der gesamten Sitzung in der diese Techniken benutzt werden
immer wieder sicherzustellen. Mit einem Auge hält sozusagen
der Counseler den zugewandeten liebevollen Kontakt, mit dem
anderen Auge fordert er den Klienten lachend heraus.
Provokative Techniken werden beim Co-Counseln nicht im Grundkurs
gelernt. Sie können nur angewendet werden, wenn beide,
Klient wie Counseler, die Techniken bei anderen Gelegenheiten
kennen gelernt haben. Eine weitere Voraussetzung ist ein vom
Klienten für die Sitzung gewählter intensiver Kontrakt
(siehe oben unter 'Sitzungen’ ' Der Rahmen
der Sitzung’) oder der ausdrückliche Wunsch mit
provozierenden Techniken zu arbeiten.
Durch die warmen und humorvollen Provokationen des Counselers
wird Platz gemacht für neue Möglichkeiten des Klienten,
für neue kraftvolle Erfahrungen mit sich selbst. Das immer
weitere Bewegen innerhalb der negativen und sich selbst herunter
machenden Verhaltensmuster des Klienten wird so gestoppt.
Lacht der Klient, hat er eine Distanz zu seinem Problem hergestellt.
Verliert der Klient für eine Zeit die Orientierung innerhalb
seines Problems, besteht eine bessere Möglichkeit für
etwas Neues.
Es gibt eine große Fülle von Provokationen, welche
solche negativen Denk- und Verhaltensmuster auflaufen lassen.
Einige Beispiele seien hier genannt:
Der Counseler versteht das Problem des Klienten nicht und
sieht die ganze Angelegenheit notorisch positiv.
Der
Counseler kann z.B. immer wieder fragen: 'Was ist das Problem?’ oder
'Was ist falsch daran?’ Er
beschreibt dem Klienten die vielfältigen Vorteile seines
gestörten Verhaltens und ermutigt ihn: 'Mach so
etwas häufiger! Denk häufiger daran! Komm immer
wieder auf diese Gefühle zurück!’ Der Counseler
begründet
all diese Vorteile durch jede Art verrückter Beweise
und nennt dazu begeistert aktuelle Forschungsergebnisse.
Irgendwann
wird der Klient selbst lachen und das Problem in einem anderen
Licht sehen können, als vor dem Lachen.
Der Counseler bagatellisiert das Problem des Klienten.
Er
sagt z.B. 'Dein Problem ist weit verbreitet. Dein Problem
ist häufig anzutreffen, jeder zweite Mensch
hat das!’
Der Counseler vergrößert das Problem des Klienten.
Der Counseler antizipiert die Katastrophenängste des
Klienten Z.B. kann er sagen: 'Das was du jetzt durchmachst,
ist gar nichts! Warte erst einmal wenn die Symptome größer
werden! Oder der Counseler schnappt geschockt nach Luft: 'Was
hast du gemacht!’
Der Counseler macht dem Klienten völlig abwegige Vorschläge
zu dessen Problemlösung.
Der Counseler bietet ihm völlig unmögliche und
idiotische Problemlösungen an. Sehr schnell wird der Klient
dadurch beginnen selbst wirkungsvolle Lösungen für
sich zu finden.
Der Counseler fordert vom Klienten ihn interessant zu unterhalten.
Er zeigt offen dass ihn die Geschichten des Klienten langweilen.
Er
unterdrückt auch sein Gähnen nicht, im Gegenteil.
Er sagt z.B. 'Ist dieses Problem nicht selbst für
dich tödlich langweilig?’ oder:
'Du glaubst gar nicht, wie müde ich werde, wenn ich
mir diesen Scheiß die
ganze Zeit anhöre, gibt es eigentlich gar nichts Interessantes
in deinem Leben?’
Der Counseler imitiert die verbalen und nonverbalen Verhaltensmuster
des Klienten und während er ihn nachahmt übertreibt
er diese Verhaltensmuster mehr und mehr.
Z.B. wird er bei einem intellektualisierenden Klienten
selbst abstrakter und abstrakter werden und zunehmend schwieriger
zu verstehen sein. Bei einem ängstlichen Klienten entsprechend
zunehmend (unpassende) 'Angst’ zeigen und sich
im möglicherweise beginnenden Wettlauf, wer sich sorgenvoller
und mit mehr Befürchtungen erklären kann, nicht so
schnell geschlagen geben. Was der Counseler selbst mit z.B.
einem 'Die Sorgen, die du dir um dich selbst machst,
sind doch ganz klein, gemessen daran welche ich mir um dich
mache!’ kommentieren kann.
Der Counseler geht penetrant nicht auf den Inhalt des vom
Klienten gesagten ein, sondern kommentiert fortlaufend verbal
und nonverbal dessen Art zu kommunizieren.
Wenn z.B. der Klient mit leiser Stimme darüber spricht,
wie er seine Kinder anschreit, äußert der Counseler
albern und mit kaum hörbarer noch leiserer Stimme – an
ein imaginiertes, nicht anwesendes Publikum gerichtet - seinen
Unglauben darüber, dass dieser sanfte und immer freundliche
Mensch überhaupt jemals laut rufen oder Schreien könne.
Z.B. kann er dem fiktivem Publikum zuflüstern: 'Glaubt
hier jemand, dieser Mann hat schon einmal in seinem Leben
geschrieen ’
Wenn der Klient ein Thema offensichtlich schnell wieder
verlassen möchte, nimmt der Counseler diese Signale notorisch
nicht wahr und macht durch großes Interesse, eifriges
Fragen und vielfältige Ideen das Thema immer weiter
voller Begeisterung zum Mittelpunkt der Sitzung.
Alle vom Thema weg gerichteten nonverbalen Signale des
Klienten werden nicht bemerkt, falsch interpretiert oder übergangen.
Wie ein offensichtlich völlig unsensibler Gesprächspartner,
der sich völlig selbstbezogen in etwas hinein reitet,
mit dem Unterschied jedoch, das es sich irgendwann auflöst
und der Klient vielleicht lachend ruft: 'Ja, ich wolle überhaupt
nicht darüber reden, aber wo wir nun schon mal so weit
sind, will ich noch sagen ...!’ und vielleicht aus dieser
Distanz heraus selbst erleichtert darüber, dass das
Thema auf dem Tisch liegt, weiterredet.
Der Counseler zeigt dem Klienten überdeutlich die
Wirkung seines Verhaltens auf Andere.
Ist der Klient z.B. aggressiv und laut, zeigt der Counseler
seine Angst: 'Das schüchtert mich jetzt völlig
ein, da traue ich mich kaum noch etwas zu dir zusagen.’ (Oder
nonverbal: Der Counseler wird einfach stumm und zieht demonstrativ
den Kopf zwischen den Schultern ein.) Ist in einem anderen
Fall der Klient z.B. verführerisch, zeigt der Counseler,
dass er von der Attraktivität des Klienten überwältigt
ist: ' Du siehst so gut aus, das lenkt mich völlig
von allem ab was du redest. Ich kann mich überhaupt nicht
mehr konzentrieren, wenn du so die Beine übereinander
schlägst.’
Der Counseler missinterpretiert die Stärken und Schwächen
des Klienten in grotesker Weise.
Ist
der Klient ängstlich, lobt der Counseler z.B. diese Ängstlichkeit überschwänglich:
'Deine Ängstlichkeit
gibt dir so eine souveräne Gelassenheit und lässt
dich so selbstsicher erscheinen, das ist ganz wunderbar.
Also was willst du noch, was hast du eigentlich gegen dieses
bisschen
Angst?’ Berichtet der Klient vom Erfolg bei einer
Prüfung,
sagt der Counseler vielleicht: ,So ein Pech aber auch, die
ganze Zeit hattest du ein Ziel vor Augen, das hat dir Orientierung
gegeben. Du hattest Angst zu versagen, das hat dir Kraft
zu Arbeiten gegeben, das alles ist jetzt spurlos verschwunden.
Ex und hop. Wie willst du jetzt eigentlich weiterleben?’
Der Counseler gibt dem Klienten für alles und jedes
die Schuld.
Er
gibt dem Klienten albern für alles was passiert ist
die Verantwortung. Zu jedem, dass erzählt wird, kann
der Counseler sagen: 'Daran bist du schuld:’ oder 'Das
ist doch ganz klar! Dafür trägst du die Verantwortung,
wer sonst!?’
Der Counseler zieht den Klienten nacheinander in völlig
verschiedene Richtungen.
Zuerst erklärt der Counseler dem Klienten, das die Ursachen
für seine Katastrophe bei anderen Menschen und bei äußeren
Umständen liegen. Auch wenn ihm das noch nicht klar ist,
sollte er danach suchen. Dann, wenn der Klient beginnt, diesen 'Tatsachen’ zuzustimmen,
erklärt der Counseler ihn selbst als allein schuldig und
verantwortlich an seiner desolaten Situation. Der Counseler
lässt sozusagen den Ball in jede Richtung springen.
Der Counseler macht keine Anstrengungen den Klienten irgendwo
zu helfen und zu unterstützen.
Der Counseler macht Bemerkungen zu völlig nebensächlichem,
schweift beim Reden selbst zu anderen Randthemen ab, oder wandert
beim Erzählen in surrealistische Traumlandschaften.
Beachte
Die Existenz des eingangs beschriebenen liebevollen Kontakts
ist notwendige Bedingung für provokative Techniken. Ohne
die immer spürbare liebevolle wertschätzende Verbindung
zwischen Counseler und Klient mobilisiert diese Technik nicht
die eigenen Kräfte, sondern wirkt verletzend. Je sicherer
sich der Klient der die aktuellen Wertschätzung durch
den Counseler ist, desto freier und provozierender kann der
Counseler agieren. Den Spaß, den der Counseler dabei
selber hat, ist eine phantastische Möglichkeit für
ihn mit viel Kraft und Ideenreichtum zu agieren. Die Interventionen
des Counselers sind nicht bloß gespieltes Theater, sondern
er folgt einer Facette seiner Person, der er sonst aus Gründen
des Anstands oder der Etikette nur in ganz wenigen Situationen
Raum geben kann. Ohne einen vereinbarten intensiven Kontrakt
und/oder eine Vereinbarung, diese Techniken zu benutzen, haben
provokative Techniken keinen Platz in Co-Counsel-Sitzungen.
Provokative Techniken sind nicht mit konfrontativen Techniken
zu verwechseln. Sie sollen keine Wahrheiten erzählen,
sondern Situationen grell beleuchten helfen, den Klienten herausfordern
und ihm so Impulse geben sich in Bewegung zu setzen. Sie fordern
den spontanen, energischen Widerstand des Klienten heraus gegenüber
letztendlich seiner eigenen Situation mit der er unzufrieden
ist.
Provozierende Interventionen ist nicht zu verwechseln mit dem
sogenannten Konfrontieren mit Wahrheiten. Der Counseler ist
mit Witz und sehr viel Authentizität wahrhaftig darin
den Klienten so anzustoßen, dass sich dieser einen Raum
schafft, in welchem er aus dem gekannten (und oft gekonnten)
Kreisen um ein Problem heraustreten kann.
Hintergrund
"
Je nun, eine gute Verwirrung ist mehr wert, als eine schlechte
Ordnung." (Ludwig Tieck 1773 – 1853, Dichter der
Frühromantik) Fortsetzen könnte man den Satz mit:
'In diesem Sinn ist es [...] wichtig, offen zu bleiben für
eine 'gute Verwirrung’. Das heißt, offen
zu sein für Entwicklungen, die bestehenden Verhältnisse
und Muster durcheinander bringen’ (R. Hanusch, evangelischer
Theologe). Jedes Problem des Klienten hat seine Struktur im
Denken und Handeln. In diese Struktur wird der Counseler sehr
leicht mit hineingezogen, wodurch er einen Teil seiner unterstützenden
Präsenz verlieren kann. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:
Sagt der Klient 'Niemand mag mich!’ Wenn der Counseler
jetzt durch viel Zugewandtheit in der Stimme den Klienten
aufzuheitern und ihm vom Gegenteil zu überzeugen versucht,
hat er sich schon in das System des Klienten hineinbegeben
und kann eigentlich keine davon wegführenden Impuls mehr
geben. Genauso wird der Counseler Teil des Problems des Klienten,
wenn er als Co-Counsel-Technik in solch einer Situation vielleicht
'Wertschätzen’ vorschlägt.
Stattdessen stelle man sich nur die mobilisierende Wirkung
einer der folgenden Sätze vor: 'Eigentlich hast
du damit noch nicht wirklich gesagt wie die Situation ist.
Es ist nicht nur so, dass dich keiner mag, alle verabscheuen
dich. Sie meiden dich. Sie wechseln die Straßenseite,
wenn sie dich von weitem Sehen, in Geschäften geben die
Verkäufer vor, gerade was anderes zu tun zu haben, nur
damit sie dich nicht bedienen müssen, sogar bei Aldi stellt
die Kassiererin immer genau vor deiner Nase das Schild 'Bitte
hier nicht mehr anstellen!’ auf das Laufband!’.
Oder anders: 'Das geht eigentlich fast jedem so! Niemand
wird gemocht. Deshalb wird strengen sich ja alle so an gemocht
zu werden. Sie kaufen sich immer neue Kleider und Parfums und
Autos. Weil es eben allen so geht. Ohne das würde die
ganze Wirtschaft nicht funktionieren, wären 2/3 der Friseure
arbeitslos. Also das ist was ganz Normales. Das Problem ist
nun kaum der Rede wert und völlig uninteressant.’
Provokative Therapie (Frank Farrelly, Jeffrey Wijnberg u.a.)
ist eigentlich keine Therapieform, sondern eher eine bestimmte
(provozierende) Art der Kommunikation zwischen Therapeut und
Klient. Mit Humor wird der Widerspruchsgeist und die Eigenständigkeit
des Klienten von Beginn an geweckt und entwickelt. Provokative
Therapie fördert das spielerische Element in der therapeutischen
Situation. Grundthese für die Begründung dieser Kommunikation
ist: Menschen können ihre Probleme benutzen, um Vorteile
davon zu haben, z.B. um Kontrolle über Mitmenschen und
Situationen auszuüben, sich intensiv zu fühlen (in
Problemen zu suhlen) oder einfach immer auf eine einfache Art
und Weise beschäftigt zu sein. Sie haben diese Probleme
- oder tun zumindest nichts dafür, diese zu ändern
- also auch, weil sie sich dafür entschieden habe. Diese
Entscheidung gegen eine Problemlösung soll durch die provokative
Therapie ins Wanken gebracht werden, indem der Klient Zugang
zu einem viel lebendigeren Bereich seiner selbst erhält.
Er wird in diesem Sinne eigentlich nicht irgendwo hin geschoben,
sondern der Ort des Problems, an dem er sich wohnlich eingerichtet
hat, wird einladend gestaltet und sozusagen zusätzlich
mit Blümchentapete ausgeschmückt und hell ausgeleuchtet
('Das ist ein tolles Problem! Viele würden dich
darum beneiden, von so etwas Interessantem erzählen zu
können. Das solltest du nicht aufgeben. Etwas Besseres
kannst du vielleicht in deinem ganzen Leben nicht bekommen.’)
Ziel ist, den Klienten dadurch die ’Fliehkräfte’ aus
der Situation erleben zu lassen und ihn dadurch auch mit seiner
eigenen Entscheidung zu konfrontieren ’Ich selbst habe
mich auch für das Fortbestehen des Problems entschieden,
ich selbst kann mich ebenso anders entscheiden’.
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