Handbuch
zum Co-Counseln (Co-Counselling)

18 Interpretations-Check

Ziel
Von einer den Blick leitenden ersten Interpretation einer Situation möchte man sich wieder lösen, um weitere Möglichkeiten, diese Situation zu verstehen, in den Blick zu bekommen.

Methode
Der Klient schaut sich eine Situation noch einmal genau an, ohne sich dabei von seiner ersten Deutung leiten zu lassen. Er tut das in drei Schritten, in denen er oben beschriebene Co-Counsel-Techniken in einer bestimmten Reihenfolge benutzt: Buchstäbliches Beschreiben - Selbstwahrnehmung - Assoziieren und kreatives Denken.

Die Schritte im Einzelnen:
1. Schritt: Der Klient beschreibt die Situation allein durch das, was er mit den Sinnesorganen wahrnimmt.
Er stellt sich die Situation als Szene auf einer Theaterbühne vor. Er beschreibt diese Szene ganz buchstäblich. So dass z.B. jemand, der ihm zuhört, diese nachspielen könnte. Er beginnt bei großen Elementen der Szene, wie z.B. die Anzahl der Personen, die übrigen Elemente im Raum, die zeitliche Abfolge der einzelnen Teile usw. und geht dann immer mehr zu den Details über. Haarfarbe, Details der Kleidung, Blickrichtungen. Er verlässt dabei das Wahrnehmungsraster, das nach Begründungen für die einmal gemachte erste Interpretationen sucht.

2. Schritt: Der Klient beschreibt was in ihm vorgeht,
bzw. in ihm vorgegangen ist, als er die Szene beschrieb. Was erlebe ich, wenn ich das Geschehen sehe, wie berührt es mich, was macht das mit mir? Welche Empfindungen habe ich im Körper beim Betrachten der Geschehnisse / bei deren einzelnen Elementen? Der Klient kann diese Fragen an sich selbst in der Sitzung in einem geschützten Raum beantworten – in einer realen Situation, vielleicht in seinem Büro mit seinen Mitarbeitern, kann er das nur in Gedanken tun. Weiterhin kann für den Klienten hilfreich sein, sich klar zu machen, was in ihm vorgegangen ist, bevor er in die Situation trat.

3. Schritt: Der Klient sucht verschiedene Interpretationen für die Situation.
Er beginnt damit seine Interpretation zu beschreiben, die sich spontan einstellen, ohne sie sofort auf Sinnhaltigkeit zu überprüfen. Dann sucht er weitere Interpretationsmöglichkeiten, auch wenn seine ‚innere Stimme’ möglicherweise sagt ’ich weiß es bereits!’ oder ‚das ist ja abwegig!’. Erst danach sortiert er aus den verschiedenen Deutungen der Situation diejenigen aus, die für ihn glaubhaft sein können. Diese überprüft er jetzt, indem er sie noch einmal genauer beschreibt. Nun kann er entweder sagen: ’Ich habe die Wahl’, oder er kann zu sich sagen: ’Ich kann bei den beteiligten Personen noch einmal nachfragen, mich näher informieren oder einfach noch einmal hinsehen, ob ich etwas übersehen habe.’ Die Technik endet mit der Situation, dass man die Wahl hat zwischen verschiedenen Möglichkeiten etwas zu verstehen und zwischen verschiedenen Möglichkeiten etwas zu tun. Es kann unter Umständen belebend wirken eine Wahl einmal nicht sofort zu treffen, sondern den offenen Zustand, die Wahl zu haben, nachklingen zu lassen.

Vorschläge des Counselers dazu
Zu 1. Alle Interventionen aus der buchstäblichen Beschreibung, wie:
Welche Szene siehst du vor dir?
Wer alles ist daran beteiligt?
Wo bist du?
Wer spricht?
...
Zu 2. Alle Interventionen aus der Selbstwahrnehmung, wie:
Was passiert (bei dir), wenn du das hörst/siehst?
Was fühlst du?
Wo fühlst du das in deinem Körper?
Welche Gedanken kommen dir dabei?
Was machst du mit den Füßen?
Was passierte als du XXX beschrieben hast?
Was ging in dir vor, als du dir das noch einmal angesehen hast?
...
Zu 3. Interventionen aus den Techniken Assoziieren:
Der erste Gedanke: Was könnte das bedeuten?
Was noch?
Was könnte jemand anderem (deiner Freundin, deinem Bruder ...) dazu einfallen?
Was würde dir als weise Frau mit 80 dazu einfallen?
Fällt dir dazu noch eine Bedeutung / Interpretation ein?
Welche Deutung fühlt sich wahr an?

Beachte
Es gibt keine absolut ’buchstäbliche Beschreibung’. Ein genormtes Verkehrschild darf in der Beschreibung ein Verkehrschild sein und ist sinnvollerweise nicht als flaches, kreisförmiges Objekt mit einer rotweißen Seite zu beschreiben. Auf der anderen Seite ist ‚gewelltes Haar’ wohl eher eine buchstäbliche Beschreibung ohne größeren Interpretationsanteil als die manchmal wertenden Begriffe ’Dauerwelle’ oder ’Naturkrause’.

Hintergrund
Ein kleines Beispiel mag die Dynamik deutlich machen, die diese Technik zu durchbrechen versucht:
Jemand betritt einen Raum. Drei Personen, die sich auf der anderen Seite des Raumes befinden, drehen sich genau in diesem Moment weg.
Eine Möglichkeit der Interpretation ist: ‚Die wenden sich vom mir weg, die mögen mich nicht.’
Eine weitere Möglichkeit ist: ‚Da muss es etwas Interessantes geben, dass alle sich gleichzeitig umdrehen.’

Jedes Mal hat die Person ihre erste Wahrnehmung innerhalb ihres Bezugssystems interpretiert, in ihre Welt eingebaut. Das Fatale daran ist, dass Personen allein durch ihre in diesem Sinne ganz persönliche Interpretation, die Situation so mitbestimmen, dass ihre Vorannahmen schließlich bestätigt werden können. Derjenige, der denkt, ’die mögen mich nicht’ wird mit unsicherem Blick und abwartender Haltung vielleicht genau die Ablehnung erzeugen, derjenige, der interessiert zur Gruppe tritt wird dort möglicherweise etwas Interessantes finden.
Ein kleines einfaches Beispiel, dessen Struktur sich auf Vieles anwenden lässt. Konflikte mit Kollegen, Verhandlung mit Handwerkern, Gespräch mit dem Lehrer seines Kindes ... Jedes Mal stellt sich nach der ersten Annahme über die Situation die Frage: Bleibt man in seiner gerade entworfenen Welt oder sucht man nach Alternativen um die Wahl zu haben?

Im Kontext von NLP wird der Wechsel zwischen solchen Bedeutungswelten als ‚Reframing’ bezeichnet.
Ein bekanntes Verfahren des Reframings innerhalb von NLP ist das sogenannte Sechs-Stufen-Reframing. Die sechs Stufen sind:
(0) Ein Verhalten oder eine Gewohnheit (= XYZ) benennen die man ändern möchte.
(1) Das, was an XYZ stört, möglichst genau bestimmen.
(2) Kontakt mit einer vorgestellten inneren Instanz aufnehmen, die für XYZ verantwortlich ist.
(3) Diese innere Instanz fragen, welche gute Absicht sie mit XYZ verfolgt oder verfolgt hat.
(4) Kontakt mit dem kreativen "Teil" seiner selbst herstellen und neue Verhaltensweisen für das ursprünglich Störende finden.
(5) Einwände überprüfen. Wird ‚Ökologie-Check’ genannt. Sich fragen, ob alle anderen "Teile“ seiner Selbst einverstanden sind.
(6) Schritt in die Zukunft (Future Pace). Verantwortung für sich selbst übernehmen und sich einen Rahmen setzen, wann, wo und wie man einige der unter (4) entwickelten neuen Verhaltensweisen ausprobieren will.

 

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