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Interpretations-Check
Ziel
Von einer den Blick leitenden ersten Interpretation einer Situation
möchte man sich wieder lösen, um weitere Möglichkeiten,
diese Situation zu verstehen, in den Blick zu bekommen.
Methode
Der Klient schaut sich eine Situation noch einmal genau an,
ohne sich dabei von seiner ersten Deutung leiten zu lassen.
Er tut das in drei Schritten, in denen er oben beschriebene
Co-Counsel-Techniken in einer bestimmten Reihenfolge benutzt:
Buchstäbliches Beschreiben - Selbstwahrnehmung - Assoziieren
und kreatives Denken.
Die Schritte im Einzelnen:
1. Schritt: Der Klient beschreibt die Situation allein durch
das, was er mit den Sinnesorganen wahrnimmt.
Er stellt sich die Situation als Szene auf einer Theaterbühne
vor. Er beschreibt diese Szene ganz buchstäblich. So
dass z.B. jemand, der ihm zuhört, diese nachspielen könnte.
Er beginnt bei großen Elementen der Szene, wie z.B.
die Anzahl der Personen, die übrigen Elemente im Raum,
die zeitliche Abfolge der einzelnen Teile usw. und geht dann
immer mehr zu den Details über. Haarfarbe, Details der
Kleidung, Blickrichtungen. Er verlässt dabei das Wahrnehmungsraster,
das nach Begründungen für die einmal gemachte erste
Interpretationen sucht.
2. Schritt: Der Klient beschreibt was in ihm vorgeht,
bzw. in ihm vorgegangen ist, als er die Szene beschrieb. Was
erlebe ich, wenn ich das Geschehen sehe, wie berührt
es mich, was macht das mit mir? Welche Empfindungen habe
ich im Körper beim Betrachten der Geschehnisse / bei
deren einzelnen Elementen? Der Klient kann diese Fragen an
sich selbst in der Sitzung in einem geschützten Raum
beantworten – in einer realen Situation, vielleicht
in seinem Büro mit seinen Mitarbeitern, kann er das
nur in Gedanken tun. Weiterhin kann für den Klienten
hilfreich sein, sich klar zu machen, was in ihm vorgegangen
ist, bevor er in die Situation trat.
3. Schritt: Der Klient sucht verschiedene Interpretationen
für die Situation.
Er beginnt damit seine Interpretation zu beschreiben, die sich
spontan einstellen, ohne sie sofort auf Sinnhaltigkeit zu überprüfen.
Dann sucht er weitere Interpretationsmöglichkeiten, auch
wenn seine ‚innere Stimme’ möglicherweise
sagt ’ich weiß es bereits!’ oder ‚das
ist ja abwegig!’. Erst danach sortiert er aus den verschiedenen
Deutungen der Situation diejenigen aus, die für ihn glaubhaft
sein können. Diese überprüft er jetzt, indem
er sie noch einmal genauer beschreibt. Nun kann er entweder
sagen: ’Ich habe die Wahl’, oder er kann zu sich
sagen: ’Ich kann bei den beteiligten Personen noch einmal
nachfragen, mich näher informieren oder einfach noch einmal
hinsehen, ob ich etwas übersehen habe.’ Die Technik
endet mit der Situation, dass man die Wahl hat zwischen verschiedenen
Möglichkeiten etwas zu verstehen und zwischen verschiedenen
Möglichkeiten etwas zu tun. Es kann unter Umständen
belebend wirken eine Wahl einmal nicht sofort zu treffen, sondern
den offenen Zustand, die Wahl zu haben, nachklingen zu lassen.
Vorschläge des Counselers dazu
Zu 1. Alle Interventionen aus der buchstäblichen Beschreibung,
wie:
Welche Szene siehst du vor dir?
Wer alles ist daran beteiligt?
Wo bist du?
Wer spricht?
...
Zu 2. Alle Interventionen aus der Selbstwahrnehmung, wie:
Was passiert (bei dir), wenn du das hörst/siehst?
Was fühlst du?
Wo fühlst du das in deinem Körper?
Welche Gedanken kommen dir dabei?
Was machst du mit den Füßen?
Was passierte als du XXX beschrieben hast?
Was ging in dir vor, als du dir das noch einmal angesehen hast?
...
Zu 3. Interventionen aus den Techniken Assoziieren:
Der erste Gedanke: Was könnte das bedeuten?
Was noch?
Was könnte jemand anderem (deiner Freundin, deinem Bruder
...) dazu einfallen?
Was würde dir als weise Frau mit 80 dazu einfallen?
Fällt dir dazu noch eine Bedeutung / Interpretation ein?
Welche Deutung fühlt sich wahr an?
Beachte
Es gibt keine absolut ’buchstäbliche Beschreibung’.
Ein genormtes Verkehrschild darf in der Beschreibung ein Verkehrschild
sein und ist sinnvollerweise nicht als flaches, kreisförmiges
Objekt mit einer rotweißen Seite zu beschreiben. Auf
der anderen Seite ist ‚gewelltes Haar’ wohl eher
eine buchstäbliche Beschreibung ohne größeren
Interpretationsanteil als die manchmal wertenden Begriffe ’Dauerwelle’ oder ’Naturkrause’.
Hintergrund
Ein kleines Beispiel mag die Dynamik deutlich machen, die diese
Technik zu durchbrechen versucht:
Jemand betritt einen Raum. Drei Personen, die sich auf der
anderen Seite des Raumes befinden, drehen sich genau in diesem
Moment weg.
Eine Möglichkeit der Interpretation ist: ‚Die wenden
sich vom mir weg, die mögen mich nicht.’
Eine weitere Möglichkeit ist: ‚Da muss es etwas
Interessantes geben, dass alle sich gleichzeitig umdrehen.’
Jedes Mal hat die Person ihre erste Wahrnehmung innerhalb
ihres Bezugssystems interpretiert, in ihre Welt eingebaut.
Das Fatale daran ist, dass Personen allein durch ihre in diesem
Sinne ganz persönliche Interpretation, die Situation so
mitbestimmen, dass ihre Vorannahmen schließlich bestätigt
werden können. Derjenige, der denkt, ’die mögen
mich nicht’ wird mit unsicherem Blick und abwartender
Haltung vielleicht genau die Ablehnung erzeugen, derjenige,
der interessiert zur Gruppe tritt wird dort möglicherweise
etwas Interessantes finden.
Ein kleines einfaches Beispiel, dessen Struktur sich auf Vieles
anwenden lässt. Konflikte mit Kollegen, Verhandlung mit
Handwerkern, Gespräch mit dem Lehrer seines Kindes ...
Jedes Mal stellt sich nach der ersten Annahme über die
Situation die Frage: Bleibt man in seiner gerade entworfenen
Welt oder sucht man nach Alternativen um die Wahl zu haben?
Im Kontext von NLP wird der Wechsel zwischen solchen Bedeutungswelten
als ‚Reframing’ bezeichnet.
Ein bekanntes Verfahren des Reframings innerhalb von NLP ist
das sogenannte Sechs-Stufen-Reframing. Die sechs Stufen sind:
(0) Ein Verhalten oder eine Gewohnheit (= XYZ) benennen die
man ändern möchte.
(1) Das, was an XYZ stört, möglichst genau bestimmen.
(2) Kontakt mit einer vorgestellten inneren Instanz aufnehmen,
die für XYZ verantwortlich ist.
(3) Diese innere Instanz fragen, welche gute Absicht sie mit
XYZ verfolgt oder verfolgt hat.
(4) Kontakt mit dem kreativen "Teil" seiner selbst
herstellen und neue Verhaltensweisen für das ursprünglich
Störende finden.
(5) Einwände überprüfen. Wird ‚Ökologie-Check’ genannt.
Sich fragen, ob alle anderen "Teile“ seiner Selbst
einverstanden sind.
(6) Schritt in die Zukunft (Future Pace). Verantwortung für
sich selbst übernehmen und sich einen Rahmen setzen, wann,
wo und wie man einige der unter (4) entwickelten neuen Verhaltensweisen
ausprobieren will.
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