Carl Gustav Jung - Schatten


Schatten


Die Begegnung mit sich selber bedeutet zunächst die Begegnung mit dem eigenen Schatten. Der Schatten ist allerdings ein Engpass, ein schmales Tor, dessen peinliche Enge keinem, der in den tiefen Brunnen hinuntersteigt, erspart bleibt. Man muss aber sich selber kennen lernen, damit man weiß, wer man ist, denn das, was nach dem Tore kommt, ist Unerwartetherweise eine grenzenlose Weite voll unerhörter Unbestimmtheit, anscheinend kein Innen und kein Außen, kein Oben und kein Unten, kein Hier oder Dort, kein Mein und kein Dein, kein Gutes und kein Böses. Es ist die Welt des Wassers, in der alles Lebendige suspendiert schwebt, wo das Reich des "Sympathicus", der Seele alles Lebendigen, beginnt, wo ich untrennbar dieses und jenes bin, wo ich den anderen in mir erlebe, und der andere als Ich mich erlebt. Das kollektive Unbewusste ist alles weniger als ein abgekapseltes, persönliches System, es ist weltweite und weltoffene Objektivität.


Carl Gustav Jung (* 1875 in Kesswil; † 1961 in Küsnacht,Schweizer Mediziner und Psychologe und der Begründer der Analytischen Psychologie) Aus: Bewusstes und Unbewusstes

 

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