Klub der Seelsorger
Wer in einer Krise steckt oder sich entwickeln will,
sucht oft Unterstützung beim Psychotherapeuten.
Rund 200 Hamburger haben gelernt, es anders zu
machen: Sie helfen sich gegenseitig bei der Persönlichkeitsentwicklung.
S u s i e R e i n h a r d t fragt
den Grundkurstrainer für Co-Counselling Rudolf
Giesselmann nach dieser Methode
Scheckheft gepflegt: Was ist Co-Counseln?
Rudolf Giesselmann: Wenn zwei
Personen sich treffen und einer vor dem anderen über
sich spricht, etwas loswird und etwas für sich
klärt. Nach der Hälfte der vereinbarten Zeit
wird der, der zuerst gesprochen hat, zum
Zuhörer.
Eine Art Do-It-Yourself-Therapie?
Giesselmann: Do-It-Yourself
auf jeden Fall, aber das Label Psychotherapie möchte ich der
Methode nicht geben. Das klingt zu sehr
nach Krankheiten und Defiziten. Beim Co-
Counselling ist die Blickrichtung: Ich lerne
etwas Neues. Man kann das mit dem Lernen
einer neuen Sprache vergleichen. Wenn ich
nach Spanien fahre und mich stört, dass ich
mich dort mit niemandem unterhalten kann
–
dann kann ich mich entscheiden einen Spanischkurs
zu belegen, um das zu ändern.
Ähnlich ist das, wenn ich mir beispielsweise
mit meinen Chefs oder Kollegen immer ähnliche
Probleme einhandele. Dann kann ich
auch beschließen, noch einmal genau hinzusehen
und ein neues Verhalten zu lernen. Das
eine nennt man Sprachkurs, das andere Coaching
oder Therapie – aber es geht immer ums
Lernen.
Dann hole ich mir Beratung, ähnlich
wie beim Coaching?
Giesselmann: Beim Co-Counseln
gibt es allerdings keinen Coach – man muss die Dinge,
die man angehen möchte, selbst in die
Hand nehmen. Ausgangspunkt der Arbeit
mit dieser Methode ist es mitzukriegen, was
in mir selbst vorgeht. Damit schaffe ich mir
Orientierung. Dann kann ich mir das, was auf
mir lastet, von der Seele reden und etwas
leichter und klarer darauf blicken, was es zu
tun gibt.
Hat man dafür nicht gute Freunde?
Giesselmann: Ja, fürs
Reden und Ratschläge
bekommen habe ich Freunde. Co-Counseln
geht aber über das, was ein gutes Gespräch unter
Freunden ist, deutlich hinaus.
Jetzt bin ich aber gespannt. Wie läuft
denn nun so eine Sitzung ab?
Giesselmann: Typisch ist, dass es eine Phase
gibt, in der man sich entlastet. Wo man das,
was man mit sich herum trägt, loswerden
kann. Das können Sachen sein, die man sich
sonst nicht zu erzählen traut, weil man selbst
gar nicht sicher ist, ob sie Sinn machen. Oder
weil man sich der Dinge schämt. Es können
auch belastende Gefühle sein, die man im
Alltag nicht rauslassen möchte. Beim Co-
Counseln können all diese Dinge ausgedrückt
werden. Diese Entlastung ist ein wichtiger
Bestandteil der Methode. Auf einen
Freund nimmt man Rücksicht, man will ihn
nicht überfordern, man schaut immer wieder,
wie es ihm gerade mit dem Gesagten geht.
Beim Co-Counseln kann man mit seiner
Aufmerksamkeit bei sich selbst bleiben.
Und was macht der andere dabei?
Giesselmann: Erst einmal: aufmerksam
zuhören! Dann gibt er mir Impulse, beispielsweise
den, im Sprechen inne zu halten
und mal zu gucken: Wie würde ich mir selbst
auf das gerade Gesagte antworten? Welche
Gedanken oder welche Bilder kommen mir
zu diesem Thema? Manchmal macht der
Zuhörer mich auch aufmerksam auf eine bestimmte
Körperhaltung oder eine Handbewegung,
die ich beim Reden eingenommen
habe. Der andere hilft mir dann in den Blick
zu bekommen, dass mein Körper mir vielleicht
schon einige Fragen beantwortet hat.
Ein Vorschlag kann sein, etwas zu wiederholen,
um besser selbst hören zu können, was
man da gesagt hat. Oder der Zuhörer bittet,
konkret zu werden und nicht im Allgemeinen
hängen zu bleiben.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Giesselmann: Nehmen wir an, jemand sagt:
Meine Nachbarn können mir den Buckel
runterrutschen! Dann wäre die Intervention
zu fragen: Welche meinst du? Was ist genau
passiert? Dann geht es darum, diese Situation
kleinteilig anzusehen und vor die erste Interpretation
der Situation zurückzugehen:
Was genau habe ich gesehen? Was habe ich
mit eigenen Ohren gehört? Meiner Erfahrung
nach lösen sich dadurch viele Interpretationen
in Luft auf, weil sich beim kleinlichen
Auseinandernehmen zeigt, dass die Situation
sich anders darstellt, als ich ursprünglich
angenommen hatte. Der Vorteil
ist, dass man dadurch ein ganz anderes Standing
bekommt. Wenn ich so genau auf eine
Situation geguckt habe, bin ich klarer und habe
auch mehr Sicherheit, mich in der Sache
zu behaupten – ich bin dann nicht mehr derjenige,
der sich hauptsächlich mit seinen Fantasien
herumschlägt.
Für wen ist Co-Counselling gedacht?
Giesselmann: Für jeden, der etwas mit sich
vorhat, das über das hinausgeht, was gerade
ist. Wenn er ein „Update“ braucht, wenn er
etwas, das er in der Vergangenheit gelernt hat
und brauchbar war, nicht mehr als angemessen
und konstruktiv erlebt. Oder einfach
wenn jemand meint: Da gibt es etwas, worüber
ich immer stolpere, ich würde gerne wissen,
warum und ob ich auch anders handeln
könnte. Co-Counselling ist eine Möglichkeit,
das anzugehen.
Was wären konkrete Anlässe, warum jemand
sich für die Methode entscheidet?
Giesselmann: Wenn eine Beziehung zerbrochen
ist, kann man das Co-Counselling nutzen,
um den eigenen Anteil daran zu verstehen
und wieder sicherer zu werden. Oder
wenn jemand seit anderthalb Jahren auf Jobsuche
ist, es immer mal wieder zum Bewerbungsgespräch
gebracht hat, aber nicht eingestellt
wurde – und wenn dieser Mensch
meint, er müsste das besser verstehen, was da
passiert und Neues dafür lernen. Noch ein anderes
Beispiel: Jemand rief mich wegen Co-
Counselling an und stellte sich so vor: Ich
habe beruflich viel erreicht, bin jetzt gerade
Abteilungsleiter geworden, habe eine nette
Frau, zwei Kinder, die gut in der Schule sind
–
und plötzlich kommt mir das Leben auch
fade vor. Vorher hatte ich immer ein Ziel vor
Augen, habe meine Energie eingesetzt, Dinge
zu erreichen. Wohin soll es jetzt weitergehen?
Herrscht bei
diesem Menschen, dem der Lebenssinn abhanden gekommen ist,
nicht die
Erwartung: Sag mir mein neues Ziel?
Giesselmann: Doch,
das gibt es natürlich.
Wir alle wollen natürlich, dass jemand
kommt und uns rettet. Co-Counseln bietet
das leider – oder Gott sei Dank! – nicht an.
Ich bin es letztendlich selbst, der mich rettet.
Andere werden mir helfen und es tut gut, jemanden
dabei zu haben, der mir seine Aufmerksamkeit
schenkt und von dem ich mich
verständnisvoll begleitet fühle. Aber tun
muss ich es selbst. Das ist so ähnlich wie Vokabeln
lernen: Wenn mich jemand unterstützt
und wunderbar abfragt, mag das die Sache
erleichtern, aber das Buch aufschlagen
und mir die Zeit zu lernen einrichten, das
muss ich immer selbst tun.
Man könnte vermuten, es ginge
bei der Methode eher ums gegenseitige Schulterklopfen?
Giesselmann: Nein, Co-Counseln ist Arbeit!
Da zeigt sich auch der Unterschied zu
einem Gespräch mit Freunden. Arbeit für
sich selbst – und dann auch für das Gegenüber.
Letzteres bedeutet ein hochkonzentriertes
Mitgehen mit dem anderen, mitzudenken,
was dieser tun könnte, um in seinem
Prozess weiterzukommen. Natürlich ist das
auch bewegend, erfüllend und es kann auch
Spaß machen.
Trennung oder Sinnverlust im Leben
sind ja auch die gängigen Anlässe, um eine
Psychotherapie zu beginnen. Die gibt es
umsonst, auf Krankenschein, und ich kann
sicher sein, dass ich es mit einem studierten
Profi mit Zusatzqualifikation zu tun habe.
Warum sollte ich mich stattdessen in die
Hände eines Halb-Laien begeben, der gerade
mal einen 40-stündigen Grundkurs in Co-
Counselling absolviert hat?
Giesselmann: Ich begebe mich nicht in die
Hände von jemandem, sondern ich habe in
dem Kurs vor allem gelernt, mit mir selbst
umzugehen, mich auszudrücken, mich wahrzunehmen.
Es geht nicht darum, als Minitherapeut
eine Art Laientherapie mit anderen
Menschen durchzuführen. Sondern ich
bin für einen Einzelfall trainiert – für mich
selbst.
Und der andere für sich?
Giesselmann: Ja und darin sehen viele das
Besondere des Co-Counselling: Ich weiß,
warum mein Gegenüber wie interveniert,
darum ist der Prozess beim Co-Counseling
für mich transparent. Außerdem ist das Setting
einfach anders als in einer Therapie.
Man verharrt nicht in der abhängigen Position,
sondern begegnet sich in Gleichwertigkeit,
weil man in einer Sitzung sowohl seine
Stärken erleben – als Unterstützer des anderen
–
als auch seine Schwächen zeigen kann.
Es kann ermutigend wirken, einen anderen
zu sehen, der an sich arbeitet und neue
Schritte wagt.
Weitere Informationen:
http://www.co-counseln-lernen.de
(Aus: 'Scheckheftgepflegt' | Stadtmagazin Hamburg | Winter 2006
| PDF-Seite: 6)
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