Stadtmagazin Hamburg 2006 - Interview: Klub der Seelsorger

Klub der Seelsorger

Wer in einer Krise steckt oder sich entwickeln will, sucht oft Unterstützung beim Psychotherapeuten. Rund 200 Hamburger haben gelernt, es anders zu machen: Sie helfen sich gegenseitig bei der Persönlichkeitsentwicklung.
S u s i e R e i n h a r d t fragt
den Grundkurstrainer für Co-Counselling Rudolf
Giesselmann nach dieser Methode

 

Scheckheft gepflegt: Was ist Co-Counseln?
Rudolf Giesselmann: Wenn zwei Personen sich treffen und einer vor dem anderen über sich spricht, etwas loswird und etwas für sich klärt. Nach der Hälfte der vereinbarten Zeit wird der, der zuerst gesprochen hat, zum Zuhörer.

Eine Art Do-It-Yourself-Therapie?
Giesselmann: Do-It-Yourself auf jeden Fall, aber das Label Psychotherapie möchte ich der Methode nicht geben. Das klingt zu sehr nach Krankheiten und Defiziten. Beim Co- Counselling ist die Blickrichtung: Ich lerne etwas Neues. Man kann das mit dem Lernen einer neuen Sprache vergleichen. Wenn ich nach Spanien fahre und mich stört, dass ich mich dort mit niemandem unterhalten kann – dann kann ich mich entscheiden einen Spanischkurs zu belegen, um das zu ändern. Ähnlich ist das, wenn ich mir beispielsweise mit meinen Chefs oder Kollegen immer ähnliche Probleme einhandele. Dann kann ich auch beschließen, noch einmal genau hinzusehen und ein neues Verhalten zu lernen. Das eine nennt man Sprachkurs, das andere Coaching oder Therapie – aber es geht immer ums Lernen.

Dann hole ich mir Beratung, ähnlich wie beim Coaching?
Giesselmann: Beim Co-Counseln gibt es allerdings keinen Coach – man muss die Dinge, die man angehen möchte, selbst in die Hand nehmen. Ausgangspunkt der Arbeit mit dieser Methode ist es mitzukriegen, was in mir selbst vorgeht. Damit schaffe ich mir Orientierung. Dann kann ich mir das, was auf mir lastet, von der Seele reden und etwas leichter und klarer darauf blicken, was es zu tun gibt.

Hat man dafür nicht gute Freunde?
Giesselmann: Ja, fürs Reden und Ratschläge bekommen habe ich Freunde. Co-Counseln geht aber über das, was ein gutes Gespräch unter Freunden ist, deutlich hinaus.

Jetzt bin ich aber gespannt. Wie läuft denn nun so eine Sitzung ab?
Giesselmann:
Typisch ist, dass es eine Phase gibt, in der man sich entlastet. Wo man das, was man mit sich herum trägt, loswerden kann. Das können Sachen sein, die man sich sonst nicht zu erzählen traut, weil man selbst gar nicht sicher ist, ob sie Sinn machen. Oder weil man sich der Dinge schämt. Es können auch belastende Gefühle sein, die man im Alltag nicht rauslassen möchte. Beim Co- Counseln können all diese Dinge ausgedrückt werden. Diese Entlastung ist ein wichtiger Bestandteil der Methode. Auf einen Freund nimmt man Rücksicht, man will ihn nicht überfordern, man schaut immer wieder, wie es ihm gerade mit dem Gesagten geht. Beim Co-Counseln kann man mit seiner Aufmerksamkeit bei sich selbst bleiben.

Und was macht der andere dabei?
Giesselmann:
Erst einmal: aufmerksam zuhören! Dann gibt er mir Impulse, beispielsweise den, im Sprechen inne zu halten und mal zu gucken: Wie würde ich mir selbst auf das gerade Gesagte antworten? Welche Gedanken oder welche Bilder kommen mir zu diesem Thema? Manchmal macht der Zuhörer mich auch aufmerksam auf eine bestimmte Körperhaltung oder eine Handbewegung, die ich beim Reden eingenommen habe. Der andere hilft mir dann in den Blick zu bekommen, dass mein Körper mir vielleicht schon einige Fragen beantwortet hat. Ein Vorschlag kann sein, etwas zu wiederholen, um besser selbst hören zu können, was man da gesagt hat. Oder der Zuhörer bittet, konkret zu werden und nicht im Allgemeinen hängen zu bleiben.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Giesselmann:
Nehmen wir an, jemand sagt: Meine Nachbarn können mir den Buckel runterrutschen! Dann wäre die Intervention zu fragen: Welche meinst du? Was ist genau passiert? Dann geht es darum, diese Situation kleinteilig anzusehen und vor die erste Interpretation der Situation zurückzugehen: Was genau habe ich gesehen? Was habe ich mit eigenen Ohren gehört? Meiner Erfahrung nach lösen sich dadurch viele Interpretationen in Luft auf, weil sich beim kleinlichen Auseinandernehmen zeigt, dass die Situation sich anders darstellt, als ich ursprünglich angenommen hatte. Der Vorteil ist, dass man dadurch ein ganz anderes Standing bekommt. Wenn ich so genau auf eine Situation geguckt habe, bin ich klarer und habe auch mehr Sicherheit, mich in der Sache zu behaupten – ich bin dann nicht mehr derjenige, der sich hauptsächlich mit seinen Fantasien herumschlägt.

Für wen ist Co-Counselling gedacht?
Giesselmann:
Für jeden, der etwas mit sich vorhat, das über das hinausgeht, was gerade ist. Wenn er ein „Update“ braucht, wenn er etwas, das er in der Vergangenheit gelernt hat und brauchbar war, nicht mehr als angemessen und konstruktiv erlebt. Oder einfach wenn jemand meint: Da gibt es etwas, worüber ich immer stolpere, ich würde gerne wissen, warum und ob ich auch anders handeln könnte. Co-Counselling ist eine Möglichkeit, das anzugehen.

Was wären konkrete Anlässe, warum jemand sich für die Methode entscheidet?
Giesselmann:
Wenn eine Beziehung zerbrochen ist, kann man das Co-Counselling nutzen, um den eigenen Anteil daran zu verstehen und wieder sicherer zu werden. Oder wenn jemand seit anderthalb Jahren auf Jobsuche ist, es immer mal wieder zum Bewerbungsgespräch gebracht hat, aber nicht eingestellt wurde – und wenn dieser Mensch meint, er müsste das besser verstehen, was da passiert und Neues dafür lernen. Noch ein anderes Beispiel: Jemand rief mich wegen Co- Counselling an und stellte sich so vor: Ich habe beruflich viel erreicht, bin jetzt gerade Abteilungsleiter geworden, habe eine nette Frau, zwei Kinder, die gut in der Schule sind – und plötzlich kommt mir das Leben auch fade vor. Vorher hatte ich immer ein Ziel vor Augen, habe meine Energie eingesetzt, Dinge zu erreichen. Wohin soll es jetzt weitergehen?

Herrscht bei diesem Menschen, dem der Lebenssinn abhanden gekommen ist, nicht die Erwartung: Sag mir mein neues Ziel?
Giesselmann: Doch, das gibt es natürlich. Wir alle wollen natürlich, dass jemand kommt und uns rettet. Co-Counseln bietet das leider – oder Gott sei Dank! – nicht an. Ich bin es letztendlich selbst, der mich rettet. Andere werden mir helfen und es tut gut, jemanden dabei zu haben, der mir seine Aufmerksamkeit schenkt und von dem ich mich verständnisvoll begleitet fühle. Aber tun muss ich es selbst. Das ist so ähnlich wie Vokabeln lernen: Wenn mich jemand unterstützt und wunderbar abfragt, mag das die Sache erleichtern, aber das Buch aufschlagen und mir die Zeit zu lernen einrichten, das muss ich immer selbst tun.

Man könnte vermuten, es ginge bei der Methode eher ums gegenseitige Schulterklopfen?
Giesselmann:
Nein, Co-Counseln ist Arbeit! Da zeigt sich auch der Unterschied zu einem Gespräch mit Freunden. Arbeit für sich selbst – und dann auch für das Gegenüber. Letzteres bedeutet ein hochkonzentriertes Mitgehen mit dem anderen, mitzudenken, was dieser tun könnte, um in seinem Prozess weiterzukommen. Natürlich ist das auch bewegend, erfüllend und es kann auch Spaß machen.

Trennung oder Sinnverlust im Leben sind ja auch die gängigen Anlässe, um eine Psychotherapie zu beginnen. Die gibt es umsonst, auf Krankenschein, und ich kann sicher sein, dass ich es mit einem studierten Profi mit Zusatzqualifikation zu tun habe. Warum sollte ich mich stattdessen in die Hände eines Halb-Laien begeben, der gerade mal einen 40-stündigen Grundkurs in Co- Counselling absolviert hat?
Giesselmann:
Ich begebe mich nicht in die Hände von jemandem, sondern ich habe in dem Kurs vor allem gelernt, mit mir selbst umzugehen, mich auszudrücken, mich wahrzunehmen. Es geht nicht darum, als Minitherapeut eine Art Laientherapie mit anderen Menschen durchzuführen. Sondern ich bin für einen Einzelfall trainiert – für mich selbst.

Und der andere für sich?
Giesselmann:
Ja und darin sehen viele das Besondere des Co-Counselling: Ich weiß, warum mein Gegenüber wie interveniert, darum ist der Prozess beim Co-Counseling für mich transparent. Außerdem ist das Setting einfach anders als in einer Therapie. Man verharrt nicht in der abhängigen Position, sondern begegnet sich in Gleichwertigkeit, weil man in einer Sitzung sowohl seine Stärken erleben – als Unterstützer des anderen – als auch seine Schwächen zeigen kann. Es kann ermutigend wirken, einen anderen zu sehen, der an sich arbeitet und neue Schritte wagt.

Weitere Informationen: http://www.co-counseln-lernen.de

(Aus: 'Scheckheftgepflegt' | Stadtmagazin Hamburg | Winter 2006 | PDF-Seite: 6)