Sonett Nr. 19
Nur eines möcht ich nicht: dass du mich fliehst.
Ich will dich hören, selbst wenn du nur klagst.
Denn wenn du taub wärst, braucht ich, was du sagst
Und wenn du stumm wärst, braucht ich, was du siehst.
Und wenn du blind wärst, möchte ich dich doch sehn.
Du bist mir beigesellt als meine Wacht:
Der lange Weg ist noch nicht halb verbracht
Bedenk das Dunkel, in dem wir noch stehn!
So gilt kein „Lass mich, denn ich bin verwundet!“
So gilt kein „Irgendwo“ und nur ein „Hier“
Der Dienst wird nicht gestrichen, nur gestundet.
Du weißt es: wer gebraucht wird, ist nicht frei.
Ich aber brauche dich, wie`s immer sei
Ich sage ich und könnt auch sagen wir.
Bertolt Brecht (* 1898 in Augsburg; † 1956 in Berlin,
einer der einflussreichsten deutschen Dramatiker und Lyriker
des 20. Jahrhunderts)
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