Stehan Zweigs beschreibt in seiner Erzählung "24 Stunden aus
dem Leben einer Frau" (1925) das Eingeständnis gegenüber
einem Dritten. In der Umsetzung vergangener Handlungen
ins Wort nimmt dies hier den Charakter psychoanalytischer Bewusstmachung
an. Die Aussprache vor einem fremden Zuhörer
wird zur Befreiungsgeste von einer Lebenslast.
Nicht jede Co-Counsel-Sitzung ist so dramatisch und so singulär,
wie diese Aussprache. Die wichtigsten Elemente in einer Co-Counselsitzung
findet man hier wunderbar von Stefan Zweig beschrieben:
- Sicherer Raum.
- Klare Verabredung.
- Zugewandter Hörender.
- Offenheit sich selbst gegenüber.
(Zitiert werden zwei Stellen. Einmal die Verabredung zum Sprechen
und dessen Beginn, sowie das Ende und Auseinandergehen.
Die Verabredung
Fand ich am Abend einen Brief. ... Ob sie mir aus ihrem Leben erzählen
dürfte. Jene Episode liege so weit zurück, schrieb sie, dass
sie eigentlich kaum mehr zu ihrem gegenwärtigen Leben gehöre
und dass ich übermorgen schon abreise, mache ihr leichter über
etwas zu sprechen, was sie seit mehr als 20 Jahren innerlich
quäle
und beschäftige. Falls ich also ein solche Gespräch nicht als
Zudringlichkeit empfände, so würde sie mich gern um diese Stunde
bitten. Der Brief ... faszinierte mich ungemein. ... Dennoch
wurde mir die Antwort nicht ganz leicht. ... "Es ist mir eine Ehre,
dass Sie mir so viel Vertrauen schenken, und ich verspreche Ihnen erhlich
zu antworten,
falls sie dies von mir fordern. Ich darf sie natürlich nicht bitten
mir mehr zu erzählen, als sie innerlich wollen, aber was sie erzählen,
erzählen Sie sich und mir ganz wahr. Bitte glauben Sie mir, dass
ich Ihr Vertrauen als eine besondere Ehre empfinde."
Der Zettel wanderte abends in ihr Zimmer. Am nächsten Morgen fand
ich die Antwort: "Sie haben vollkommen Recht. Die halbe Wahrheit
ist nichts wert. Immer nur die Ganze. Ich werde alle Kraft zusammen
nehmen um nichts gegen mich selbst oder gegen Sie zu verschweigen.
Kommen Sie
nach dem Dinner in mein Zimmer. Mit 67 Jahren habe ich keine
Missdeutung zu fürchten, denn im Garten oder in der Nähe von
Menschen kann ich nicht sprechen. Sie dürfen mir glauben, es war
nicht leicht mich überhaupt
zu entschließen."
...
Der Beginn
Am Abend zur vereinbarten Stunde klopfte ich an. Mir wurde sofort
aufgetan. ... Ganz ohne Befangen trat Mrs. C. Auf mich zu und
setzte sich mir gegenüber. Jede dieser Bewegungen spürte ich, war innerlich
bereit gestellt. Aber doch kam eine Pause. Offenbar wider ihren Willen.
Eine Pause des schweren Entschlusses, die lange und immer länger
wurde, die ich aber nicht wagte mit einem Wort zu brechen, weil ich spürte,
dass hier ein starker Wille gewaltsam mit einem starken Widerstand rang.
Vom Konversationszimmer unten kreiselten manchmal matt die abgerissenen
Töne eines Walzers herauf. Ich hörte angespannt hin, gleichsam
um dem Stillesein etwas von seinem lastenden Druck zu nehmen. Auch sie
schien das unnatürlich gespannte dieses Schweigens schon peilich
zu empfinden, denn plötzlich raffte sie sich zum Absprung und begann: "Nur
das erste Wort ist schwer. Ich habe mich seit zwei Tagen darauf vorbereitet
ganz klar und wahr zu sein. Hoffentlich wird es mir gelingen. Vielleicht
verstehen Sie noch nicht, dass ich Ihnen, einem Fremden all dies erzähle,
aber es vergeht kein Tag, kaum eine einzige Stunde, wo ich nicht an dieses
bestimmte Geschehnis denke. ... Man wird das nicht los was wir mit einem
unsicheren Ausdruck 'Gewissen' nennen. ... So mache ich heute diesen sonderbaren
Verusch, mich selbst freizusprechen indem ich zu Ihnen spreche. Ich weiß,
dass alles ist sehr sonderbar, aber sie sind ohne Zögern auf meinen
Vorschlag eingegangen und ich danke Ihnen dafür. - Also ..."
Das Ende:
... und da dachte ich mir, einmal sich's wegsprechen von der
Seele. Vielleicht löst das den lastenden Bann und die ewig rückblickende
Starre. Dann kann ich morgen vielleicht hinübergehen und eben den
selben Saal betreten, in dem ich meinem Schicksaal begegnet und doch
ohne Hass sein gegen ihn und gegen mich selbst. Dann ist der Stein von
der Seele gewälzt, liegt mit seiner Wucht über aller Vergangenheit
und verhütet, dass sie noch einmal aufersteht.
Es war gut für mich, dass ich Ihnen all dies erzählen konnte.
Mir ist jetzt leichter und beinahe froh zumute. Ich danke Ihnen dafür.
Bei diesen Worten war sie plötzlich aufgestanden. Ich fühlte,
dass sie zuende war. Etwas verlegen suchte ich nach einem Wort, aber sie
musste meine Bemühungen gefühlt haben und wehrte rasch ab: "Nein,
bitte sprechen sie nicht! Ich möchte nicht, dass sie mir etwas antworten
oder sagen. Seien Sie bedankt, dass sie mir zugehört haben und reisen
sie wohl."
Sie stand mir gegenüber und reichte mir die Hand zum Abschied. Unwillkürlich
sah ich auf zu ihrem Gesicht und es schien mir rührend wunderbar.
... Unwillkürlich ergriffen drängte es mich durch ein Wort ihr
meine Ehrfurcht zu bezeugen, doch die Kehle wurde mir eng. Und da beugte
ich mich nieder und küsse ihre welke wie Herbstlaub leicht zitternde
Hand.
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