J. Rowan & W. Dryden (Hrsg.): "Neue Entwicklungen der Psychotherapie"

Transform-Verlag, Oldenburg, 1990, ISBN: 3-926692-15-4

Auszung: S. 98 – 125:

Co-counselling

Rose Evison und Richard Horobin

 

Psychisch gesunde Menschen sind von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod aktiv lernende Menschen, die Freude an der Herausforderung haben, Probleme lösen zu müssen. Sie arbeiten gerne mit anderen zusammen. In jeder Phase ihres Lebens entwickeln sie ihr umfassendes Potential. Auf unmittelbare Bedrohung, sei sie körperlicher oder psychischer Art, reagieren sie mit angemessenen negativen Gefühlen. Wenn es ihnen gelingt, eine bedrohliche Situation zu bewältigen, stellt dieses Wissen eine Erweiterung ihrer Erfahrung und ihrer Fertigkeiten dar. Gelingt es ihnen nicht, werden sie, sobald sie erkennen, dass die Bedrohung vorbei ist, spontan ihre unangemessene emotionale Erregung entladen. Nach Beendigung der Entladung befinden sie sich in einem körperlichen und geistigen Zustand der aufmerksamen Flexibilität, mit größtmöglicher Wahlfreiheit im Hinblick auf die nächste Aufgabe.

Psychische Störung wird definiert als starre, zwanghafte Reaktionen -Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen. Solche Reaktionen werden als Muster bezeichnet. Im Unterschied zu Angewohnheiten unterstehen Muster keinem direkten Willenseinfluss und ändern sich nicht mit den Lebensumständen. Man kann sogar sagen, dass Muster äußerst resistent gegen Veränderung sind - selbst dann, wenn die betreffende Person erkennt, dass ihr Verhalten sich selbst oder anderen gegenüber destruktiv ist, und versucht, sich zu ändern. Unserer Definition zufolge ist es normal, dass jeder Mensch gewisse Muster hat. Der Grad der psychischen Störung eines Menschen hängt davon ab, wie viele Muster es sind, wie intensiv die damit verbundenen negativen Gefühle sind und wie stark die Verhaltensmuster mit den sozialen Normen in Konflikt geraten. Psychisch gesunde Menschen haben sehr wenig Muster. Sie drücken positive und negative Gefühle mit ihrem Körper aus, sind in der Lage, kreativ Probleme zu lösen und sich kreativ in den Ausdruckskünsten zu betätigen. Sie sind weder Depressionen noch dem Gefühl der Machtlosigkeit oder der Entfremdung ausgeliefert. Sie besitzen ein starkes Selbstwertgefühl und sind gleichzeitig in der Lage, sich anderen zuzuwenden und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie können sich selbst behaupten und mit anderen eine Lösung aushandeln, wenn Bedürfnisse nicht harmonieren.

Die Entstehung psychischer Störungen

Eine psychische Störung entsteht, wenn auf eine schmerzvolle Erfahrung ohne positives Ergebnis keine Entladung der entstandenen negativen Gefühle erfolgt. Die ganze Abfolge wird im Gedächtnis der betroffenen Person gespeichert. Treten später Elemente auf, die an die ursprüngliche bedrohliche Situation erinnern, führt das zur Wahrnehmung der aktuellen Bedrohung und zur Auslösung der damit verbundenen schmerzvollen Gefühle. Diese Gefühle sind dann der Antrieb für die negativen Gedanken und sinnlosen Handlungen, mit denen die betroffene Person früher reagiert hat, da ihr keine anderen Reaktionen zur Verfügung stehen. Die ganze Reaktionsabfolge bezeichnet man als Muster. Muster lassen sich mit neurotischen Reaktionen gleichsetzen: "Der normale Mensch lernt aus seiner Erfahrung, der Neurotiker ist dazu verdammt, sie zu wiederholen."

Muster beschränken sich nicht auf Neurotiker. Auch eine normale Entwicklung beinhaltet viele schmerzvolle Erfahrungen, die für das Kind kein positives Ergebnis mit sich bringen. Solche Erfahrungen können traumatischer Art sein, wie zum Beispiel sexueller Missbrauch, oder sie sind weniger schwerwiegend, erfolgen dafür aber anhaltend, wie bei dem grundlegenden Sozialisationsprozess der Sauberkeitserziehung.

Die einflussreichsten Muster bilden sich zwar in der Kindheit, aber prinzipiell können Muster in jedem Alter entstehen. Kampfneurosen sind ein Beispiel für Muster aus traumatischen Situationen, für die alle normalen Menschen empfänglich sind (Swank 1949), John Holts (1964) Buch How children fail (Wie Kinder versagen) liefert anschauliche Beispiele für durch schulische Situationen bedingte Muster.

Martin (1975) berichtet über Experimente von Stone und Hokanson, die einen Mechanismus für die Entstehung von Selbstbestrafungsmustern aufdecken. In diesen Experimenten lernten Versuchspersonen, dass sie durch einen elektrischen Schlag, den sie sich selber zufügten, verhindern konnten, dass sie von jemand anderem einen stärkeren Schlag bekamen. Hatten sie dieses Selbstbestrafungsverhalten erst einmal erlernt, hielten die Versuchspersonen auch dann daran fest, als später die von außen zugefügte Bestrafung aufgehoben worden war, weil ihnen die Möglichkeit fehlte, zu erfahren, dass die Situation sich geändert hatte. Gegen andere gerichtete destruktive Verhaltensmuster sind auf Situationen zurückzuführen, in denen das Kind Opfer der Aggression von Erwachsenen war. Die Tatsache, dass das verletzte Kind undifferenziert Informationen aufnimmt, bedeutet, dass auch die Worte und Taten der Person, die die Verletzung verursacht, in Form eines Musters im Gedächtnis gespeichert werden. Diese Informationen sind abrufbar, wenn das "Opfer" sich in seinem späteren Leben in der Machtposition befindet. Daher werden die Menschen, die selbst Opfer von Unterdrückung waren, selber zu Unterdrückern, wenn die Umstände ihnen die Möglichkeit dazu geben. Bei seiner Arbeit mit sexuellen Straftätern weist Wyre sowohl auf deren Schwierigkeiten hin, an der tief in ihnen verwurzelten Gewalt etwas zu ändern, als auch auf die Tatsache, dass viele der Betroffenen selbst einmal Opfer sexueller Gewalt waren (Swift 1986). Frudes (1982) Forschungen über Fälle von Kindesmisshandlung lassen Übereinstimmungen erkennen zwischen der Art der jeweiligen körperlichen Misshandlung und der Bestrafung, die die Täter als Kinder selbst erlitten haben. Seligmans Vorstellungen über die Entstehung von Angst und sein Konzept der erlernten Hilflosigkeit liefern weitere Modelle der Entwicklung von Verhaltensmustern (Seligman 1986).

Da es keine Möglichkeit gibt, schmerzvolle Misserfolgserfahrungen zu vermeiden, ist der Schlüsselfaktor, der zu psychischer Störung führt, in der Hemmung emotionaler Entladungsprozesse zu suchen. Jeder Umstand, der verhindert, dass eine emotionale Entladung stattfinden kann, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich bestimmte Muster bilden und somit psychische Störungen zunehmen.

Die Verfestigung psychischer Störungen

Nachdem sich ein Muster gebildet hat, können die im Gedächtnis gespeicherten, unhinterfragten Daten aus der Ursprungssituation selbst durch kleine Anlässe, die entfernt an diese Situation erinnern, wieder ausgelöst werden. So kann der typische Krankenhausgeruch die Angst wieder lebendig werden lassen, die mit einer schmerzvollen Krankheit einherging, oder ein höhnisches Lachen kann das Gefühl der Hilflosigkeit wieder wachrufen, dass man empfunden hat, als man von einem älteren Kind drangsaliert wurde. Je schmerzvoller die Erfahrung war, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass bedrohliche Reize verallgemeinert werden. Diese Erzeugung negativer Gefühle durch situationsbedingte Erinnerungsauslöser nennt man Restimulierung. Dass es sich dabei um ein allgemeines Phänomen handelt, wird deutlich, wenn man Menschen bittet, über emotional schwierige Ereignisse zu sprechen, die ihnen vor kurzem zugestoßen sind. Viele berichten, dass sie sich an die Gefühle nicht bloß erinnern, sondern sie wirklich wiedererleben.

Die Restimulierung wird beim "Interpersonal Process Recall" demonstriert, einem von Kagan (1980) entwickelten System der Therapeutenausbildung, bei dem durch das Anschauen von auf Video aufgezeichneten Interviews Erinnerungen an einflussreiche Gedanken und Gefühle ausgelöst werden, die die betreffende Person zum damaligen Zeitpunkt nicht verbalisiert hat. Bei den ursprünglichen Interviews und bei dem späteren Wiederanschauen wurden kontinuierlich physiologische Messungen vorgenommen. Bei diesen Messungen zeigte sich eine parallele emotionale Erregung bei einer Episode in dem ersten Interview und bei der Erinnerung an dieses Interview (Kagan 1986).

Durch jede Restimulierung wird ein Muster verstärkt. Wenn also die betreffende Person keine Möglichkeit findet, den Schmerz zu entladen, der das Muster an Ort und Stelle hält, verschlimmert sich die Störung im Laufe des Lebens.

Die Art und Weise, wie Gefühle sozialisiert werden, trägt ebenfalls dazu bei, dass Muster sich verfestigen. Durch Beruhigen, Ablenken oder Bestrafen wird Entladung verringert oder ganz ausgeschaltet: "Na, na, mein Schatz, du musst doch nicht weinen!" "Oh, guck doch mal, was für ein lustiger Hund!" "Hör auf, oder du bekommst eins hinter die Ohren, dann hast du wirklich Grund zu weinen!" Durch diese Art der Sozialisation werden Schlüsselmuster erworben, die die Persönlichkeit des Menschen formen. Tomkins (1963) stellt eine Verbindung her zwischen verschiedenen psychischen Störungen von Erwachsenen und familientypischen Methoden der Sozialisation von Gefühlsäußerungen, die im Extremfall zu den bei Paranoiden beobachteten Gefühls-, Gedanken- und Handlungssyndromen führen. Die Muster, die aufgebaut werden, wenn die Entladung gehemmt wird, nennt man Kontrollmuster. Sie stellen eine immanente psychische Störung dar, und weil sie die Entladungsprozesse hemmen, tragen sie zur Verfestigung der bestehenden Muster bei und vergrößern die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Musterbildung.

Mangelndes Vertrauen zu anderen ist ein weiterer Faktor bei der Verfestigung von Mustern. Der Prozess der Musterbildung lässt sich mit dem der Konditionierung vergleichen. Aus moderner Sicht wird die Bedeutung kognitiver Einflüsse auf die menschliche Konditionierung hervorgehoben. Als die Versuchspersonen erfuhren, dass sich die Bedingungen geändert hätten und auf das Signal nun keine Bestrafung mehr erfolgen würde, hörten die vorher durch das Signal konditionierten Angstreaktionen bei vielen sofort auf.

Eine spätere Analyse hat gezeigt, dass das nur für die Versuchspersonen galt, die dem Versuchsleiter vertrauten. Die Versuchspersonen, die kein Vertrauen zum Versuchsleiter hatten, stellten ihre Reaktion erst ein, nachdem sie sich selbst von der Wahrheit überzeugt hatten (Dawson und Schell 1987). Im alltäglichen Leben ist es oft nur sehr begrenzt möglich zu überprüfen, ob Bedingungen sich geändert haben, vor allem in den Fällen, in denen die Betroffenen mit ihrer zum Muster gewordenen Reaktion einer schlimmeren Bestrafung zuvorkamen. Da die Bildung von Mustern normalerweise von den Personen veranlasst wird, von denen das Kind Zuwendung und Zuneigung bekommt, lernt es, dass man positiven Bezugspersonen im Leben nicht notwendigerweise trauen kann. Dieser Vertrauensmangel trägt zur Verfestigung von Mustern bei.

Eine weitere Kraft, die die Verfestigung psychischer Störungen beeinflusst, entsteht, wenn Muster in das Selbstbild eines Menschen eingebaut werden. Diese Muster entstehen, wenn Kinder an der spontanen Äußerung menschlicher Verhaltensweisen gehindert werden, wie zum Beispiel emotionale Entladung und Sexualverhalten. Eine solche Hemmung lässt sich nur durch irgendeine Form der Bestrafung erreichen, die wiederholt verhängt wird. Die implizite Botschaft für das Kind lautet hier, dass einige wichtige Anteile seiner selbst nicht geschätzt oder akzeptiert werden. Das wird häufig noch dadurch verstärkt, dass über die ganze Person des Kindes explizite Werturteile von gut und böse getroffen werden. Da solche Muster an die Person geknüpft werden statt an bestimmte Verhaltensaspekte, werden sie immer wieder restimuliert. Sie werden demzufolge als Teil der Persönlichkeit empfunden, als etwas, das sich nicht beseitigen lässt. Solche Muster nennt man chronisch.

Die Verfestigung vieler Muster ist schließlich auch darauf zurückzuführen, dass durch die sozialen und politischen Institutionen unserer Kultur immer wieder eine Verstärkung erfolgt. Dazu kommt es, wenn ein schwaches Selbstbild sich nahtlos mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verbinden lässt. Zum Beispiel: "Du bist emotional und schwach, weil du eine Frau bist!" Die gesellschaftliche Grundlage einer solchen Unterdrückung ist zwar ökonomischer Natur, aber psychologisch gesehen beruht sie auf der individuellen Ausbildung von Mustern. Die individuelle psychische Störung wird somit durch die gesellschaftlichen Normen und Institutionen verfestigt: Schwarze Kinder in unserer Gesellschaft, bei denen sich Minderwertigkeitsmuster gebildet haben, werden die Arbeitslosigkeit und Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind, als erhärtende Beweise erleben. Haben solche Muster sich erst einmal gebildet, sorgen Sozialisationsprozesse dafür, dass sie über die Generationen, nicht nur in einem individuellen Leben, festgeschrieben werden.

 

Das therapeutische Verfahren

Die Ziele der Therapie

Beim Co-Counselling geht es um die Frage, wie Menschen lernen können, sich selbst und anderen dabei zu helfen, sich zu ändern, um ein befriedigenderes Leben zu leben. Ziel der Therapie ist, dass der einzelne lernt, länger in einem Zustand der Flexibilität, Zuwendung, Problemlösung zu leben, anstatt sein Leben von Verhaltensmustern bestimmen zu lassen. Das heißt auch, weniger rigide und zwanghafte Gedanken und Verhaltensweisen und weniger negative Gefühle zu haben, die ihrer Intensität oder Dauer nach unangemessen sind. Zu diesem Zweck müssen Muster durchbrochen werden, es reicht nicht, ihnen nur zeitweise auszuweichen. Das taktische Ziel beim Co-Counselling ist daher, dass der Klient so viel Gefühl wie möglich entlädt.

Die Co-Counsellingmethode kann aus unterschiedlichen Motiven und auf unterschiedliche Weise eingesetzt werden: als emotionale erste Hilfe in einer Krise; zur Problemlösung in schwierigen Bereichen des Lebens; zur Veränderung der Persönlichkeit; um in die Lage versetzt zu werden, die Welt zu verändern.

Wie begrenzt die therapeutischen Ziele eines einzelnen Menschen auch immer sein mögen, ein Ziel wäre immer, diesem Menschen die grundlegende Theorie über Schmerz, Muster und Entladung zu vermitteln, damit er sie in seinem Leben, nicht nur in der Beratungssitzung, anwenden kann. Ähnlich sind die Fertigkeiten, mit denen in den Sitzungen gearbeitet wird, nicht bloß ein Vehikel, um die unmittelbaren Veränderungsziele der betreffenden Person zu erreichen, sondern das Erlernen der Fertigkeiten wird als ein Ziel an sich betrachtet, da sie potentiell hilfreiche Instrumente für das Leben in der Welt sind. Mit Hilfe dieser Instrumente kann der einzelne:

a)      Sich seiner Stärken und Fähigkeiten stärker bewusst werden, die demzufolge dann leichter verfügbar sind und ausgebaut und weiterentwickelt werden können, wenn sie benötigt werden;

b)      Lernen, seine Aufmerksamkeit auf den Gegenstand zu konzentrieren, den er selbst bestimmt, ohne unfreiwillig oder unbemerkt durch seinen Schmerz abgelenkt zu werden;

c)      Weniger unter negativen Ereignissen in seinem Leben leiden, sowohl unter aktuellen Ereignissen als auch solchen aus der Vergangenheit, die noch immer Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchen;

d)      Die destruktiven Muster durchbrechen, die seine flexible Intelligenz hemmen und neues Lernen sowie kreatives Handeln verhindern.

 

Der Therapeut

Bei der zweiseitigen Co-Counsellingbeziehung erleben die Partner sich gegenseitig als Klient und Berater. Die Erfahrung, als Berater Klient zu sein, bereichert den Berater um eine zusätzliche Dimension. In der Klientenrolle ist der Partner ein verletzlicher, ringender Mensch, der Hilfe dabei benötigt, sich von seinem Schmerz zu befreien, ganz gleich wie erfolgreich sein Leben auch zu sein scheint. Darüber hinaus feiern Klienten sich selbst und andere, entladen die verschiedensten Gefühle, demonstrieren emotionale Heilung und zeigen Veränderungen in ihrem Leben. Das hat eine dreifache Auswirkung auf die therapeutische Beziehung: der Berater wird in seiner Ganzheit als Mensch kennengelernt, der sich erfolgreich verändert; durch das gegenseitige Vorleben der Klientenrolle wird es leichter, klientische Verhaltensweisen zu erlernen, die für eine Therapie angemessen sind, wo kein derartiges Vorleben erfolgt; aufgrund der gegenseitigen Selbstenthüllungen entsteht gegenseitiges Vertrauen (Jourard 1968), was die therapeutische Veränderung leichter macht.

Zwei miteinander verknüpfte Punkte sind einerseits der spezielle Vertrag, der die Beraterrolle betrifft, sowie andererseits das Können und die Eigenschaften eines erfahrenen Beraters. Es wird ein Minimalvertrag abgeschlossen, in dem der Berater sich das Ziel setzt, den Klienten bedingungslos zu akzeptieren, ihm ein hohes Maß an unterstützender Aufmerksamkeit zu vermitteln, auf negative Werturteile über den Klienten zu verzichten, seine Aussagen nicht zu interpretieren und ihm keine Ratschläge im Hinblick auf seine Probleme zu geben. Der Berater ist außerdem dafür verantwortlich, dass die Zeit eingehalten wird und dem Klienten dabei zu helfen, am Ende jeder Sitzung wieder zu einem schmerzfreien Zustand zurückzukehren. Wer den Vertrag nicht einhalten kann, gilt als ungeeignet für die gegenseitige Paararbeit. Es wird empfohlen, sich die Teilnehmer von Einführungsseminaren unter diesem Aspekt genauer anzusehen.

Im Rahmen der CCI entscheiden die Klienten darüber, welche Art von Interventionsvertrag sie haben möchten. Die erste Möglichkeit ist der oben beschriebene Minimalvertrag, bei dem keinerlei Interventionen von Seiten des Beraters erfolgen. Diese Art von Vertrag wird wahrscheinlich dann gewählt, wenn es sich beim Klienten um einen erfahrenen Berater handelt, der mit einem weniger erfahrenen Partner arbeitet. In dem Fall handeln die Klienten nach Technikvorschlägen, die sie sich selbst machen. Die zweite Möglichkeit ist ein normaler Vertrag. Er sieht vor, dass Interventionen von Seiten des Beraters dann erfolgen, wenn der Klient selbst Schwierigkeiten dabei hat. Bei der dritten Möglichkeit, dem intensiven Vertrag, greift der Berater jeden Schmerz- oder Entladungshinweis auf und interveniert, um eine weitere Entladung zu unterstützen. Ein intensiver Vertrag wird dann gewählt, wenn der Klient an chronischen Mustern arbeitet, d.h. an solchen Mustern, die ständig wieder aktiviert werden - zum Beispiel negative Selbstbilder wie "Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden" und "Ich habe es nicht verdient, das zu bekommen, was ich möchte." Ein solcher Vertrag geht von der Voraussetzung aus, dass der Berater sehr erfahren und geschickt im Umgang mit Interventionen ist.

Mit der fortschreitenden Erfahrung als Berater gehen typische Veränderungen einher. Die Arbeit mit einer Vielzahl von Partnern bewirkt, dass man die unterschiedlichsten psychischen Belastungen und Schmerzen der Menschen kennenlernt und aus Erfahrung lernt, dass intensive Gefühlsäußerung nicht gleichzusetzen ist mit böse, verrückt oder außer Kontrolle sein - ganz im Gegensatz zum gängigen kulturellen Stereotyp. Entsprechend gilt: Wenn man sieht, wie Frauen ihre Wut zum Ausdruck bringen und Männer weinen, werden tief verwurzelte geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen ins Wanken gebracht. Der erfahrene Berater akzeptiert also eine breite Spanne von Klientenverhalten und vertraut auf das Potential des Menschen zur emotionalen Heilung. Ganz in diesem Sinne bezeichnet Jackins (1983) die folgenden Einstellungen auf selten des Beraters als förderlich für ein erfolgreiches Arbeiten des Klienten: Anerkennung, Freude, Respekt, Vertrauen, entspannte hohe Erwartungen, Liebe.

Im Sinne der für einen Co-Counselling-Ausbilder wünschenswerten Kriterien lässt sich zusammenfassend über die Person des Therapeuten - hier den erfahrenden Berater - folgendes sagen: Er ist emotional ausdrucksvoll, entlädt mühelos auf unterschiedliche Weise, ist sich seiner eigenen chronischen Muster und ihrer Wirkungsweise bewusst. Er kann dem Klienten seine volle Aufmerksamkeit zuwenden, ihm seine bedingungslose Annahmebereitschaft vermitteln, achtet stets auf den Menschen hinter den Mustern und weiß den Klienten zu schätzen. Er ist sensibel für die Unterschiede zwischen schmerzvoller Emotionalität und Entladung, ist in der Lage, Entladung zu unterstützen und destruktive Verhaltensmuster bei anderen zu unterbrechen. Er hat ein starkes Selbstwertgefühl und ist fähig, kraftvoll in der Welt zu handeln. Siehe auch John Herons Beschreibung (1978).

 

Der therapeutische Stil

Beim Co-Counseling gibt es eine Vielzahl wichtiger Stilrichtungen.

Schwerpunkt auf Katharsis

Beim Co-Counseling wird davon ausgegangen, dass es für jeden Kliententypus von Vorteil ist, Schmerzen zu entladen und Muster zu durchbrechen. Diese Annahme gilt für jeden Persönlichkeitstypus und alle Problemarten.

Gegenseitige Therapiebeziehung

Die Co-Counsellingarbeit erfolgt typischerweise in zweiseitiger Paarbeziehung mit einem eindeutigen Vertrag darüber, welche Verhaltensweisen erlaubt sind. Klienten, die eine einseitige Beratung wahrnehmen, weil sie zu sehr unter psychischer Anspannung stehen, um sich in die Rolle des Beraters zu begeben, werden sobald wie möglich ermutigt, diese Rolle zu übernehmen - anfangs zusätzlich zur einseitigen Therapie und nach entsprechenden Fortschritten ausschließlich in gegenseitiger Paarbeziehung. Die in anderen Therapieformen als Übertragung bekannten Phänomene sind Gegenstand spezieller Routineübungen beim Co-Counseling. Dabei untersucht ein Klient, an wen oder was sein Berater ihn erinnert, was an diesem Menschen diese Erinnerung auslöst, und trennt schließlich die Person des Beraters von der positiven oder negativen Erinnerung.

Explizite Theorie- und Praxislehre

Co-Counseling geht von der Fähigkeit des Klienten aus, selbst zu denken. Mit Hilfe eines expliziten Vertrags und der Vermittlung von theoretischen und praktischen Techniken soll die Zusammenarbeit mit dem Klienten maximiert werden. Co-Counseling beginnt normalerweise mit dem Besuch theoretischer und praktischer Seminare. Die Teilnehmer werden darüber hinaus ermutigt, sich selbst weiterzubilden. Bei der Arbeit mit einseitigen Co-Counsellingtechniken erfolgt der Unterricht nicht in gesonderten Seminaren, sondern ist vielmehr in die Sitzungen eingebunden.

Keine Interpretation, keine Ratschläge

Co-Counseling geht davon aus, dass die Klienten selbst am besten über ihr Leben Bescheid wissen. Nach der Freisetzung ihrer flexiblen Intelligenz für die vorher durch die Schmerzen blockierten Erfahrungsbereiche, formulieren sie ihre eigenen sinnvollen Interpretationen und treffen selbst die besten Entscheidungen. Aus diesem Grunde äußert ein Berater weder Interpretationen noch Ratschläge.

Arbeit auf der Grundlage von Stärken

Ausschlaggebend für den Beziehungsstil ist die Arbeit auf der Grundlage von Stärken. Der Berater vermittelt dem Klienten größtmögliche Annahmebereitschaft und Unterstützung, bietet ihm Augenkontakt und unterstützende Berührung an. Der Klient wird ermutigt, sich selbst mit seinen positiven Eigenschaften, Fähigkeiten und Erfolgen im Leben zu akzeptieren.

Der Berater ist dafür verantwortlich, dem Klienten am Ende der Sitzung zu helfen, ein Höchstmaß an positiven Gefühlen und Selbstwertgefühl zu erreichen, anstatt ihn seinen Schmerz erleben zu lassen.

Ausgewogene Aufmerksamkeit

Die Hauptinterventionen des Beraters zielen darauf ab, Bedingungen zur Entladung zu schaffen, nämlich eine ausgewogene Aufmerksamkeit. Während der Klient die negativen Gefühle aus früheren schwierigen Ereignissen wiedererlebt, steht ein Teil seines Bewusstseins gleichzeitig außerhalb des Schmerzes und weiß um seine aktuelle Sicherheit. Ausgewogene Aufmerksamkeit ist eine Grundbedingung für Veränderung in allen Therapieformen. Es wird zwar selten ausdrücklich darüber gesprochen, aber Holden zum Beispiel erwähnt diese Vorstellung als eine notwendige Bedingung für Urerlebnisse (Holden 1977, Kapitel 6), und Paul Dewald, ein psychoanalytisch orientierter Therapeut am anderen Ende des Spektrums, beschreibt dieselben Bedingungen ebenfalls als notwendig für Klientenveränderung (Goldfield 1980).

Explizite Verhaltens- und Gefühlsziele

Die Klienten werden angeregt, sich Ziele für Veränderungen in ihrem Leben zu setzen. Die Auseinandersetzung mit Mustern im Rahmen der Sitzungen versorgt den Klienten mit den notwendigen Hilfsmitteln, die Muster in ihrem Alltagsleben zwischen den Beratungssitzungen zu bekämpfen.

 

Therapeutische Techniken

Die Techniken lassen sich im wesentlichen in vier Strategien unterteilen: emotionale Entladung, Aufmerksamkeitswechsel, Feiern und Zielübung. Zur Durchbrechung von Mustern werden diese Strategien normalerweise miteinander verwoben, aber jede ist eine eigenständige therapeutische Strategie. In diesem Abschnitt wird die emotionale Entladung besonders hervorgehoben, weil sie die beim Co-Counseling hauptsächlich benutzte Strategie ist.

Hilfen zur Entladung

Mit der Entladungsstrategie zu arbeiten bedeutet, eine ausgewogene Aufmerksamkeit im Verhältnis zu den Schmerzen zu bewirken, mit denen man sich gerade auseinandersetzt. Welche Technik dabei jeweils benutzt wird, hängt von den Co-Counselling-Fertigkeiten des Klienten ab, von den Inhalten, mit denen er sich auseinandersetzen will, und von seinem Zustand im Augenblick der Intervention. Tabelle 5.1 zeigt typische Techniken, die für unterschiedliche Klientenzustände geeignet sind. Sie werden im Text mit dem in der Tabelle jeweils vorangestellten Buchstaben benannt.

Die Technikauswahl beruht auf einem zweidimensionalen Gefühlsmodell. Die eine Dimension ist die hedonistische Färbung des Gefühls - positiv oder negativ. Die andere Dimension bezieht sich auf den Grad der physiologischen Erregung der betreffenden Person. Auf der Grundlage dieses Modells lassen sich die in Abbildung 5.1 angeführten Gefühle feststellen.

Abb. 5.1 Graphische Darstellung von Gefühlsaspekten, die für die kathartische Therapie relevant sind. In die Felder sind verschiedene "einfache" Gefühle eingezeichnet, mit den Dimensionen körperliche Erregung (stark - schwach) und hedonistische Färbung (positiv -negativ).

Abb. 5.2 Die schwarzen Pfeile weisen auf während der Entladung stattfindende Veränderungen hin, und die Voraussetzungen für den Prozess, der beginnen soll (d.h. Erregung plus ausgewogene Aufmerksamkeit zwischen Schmerz und aktueller Sicherheit), werden aufgezeichnet.

Gefühle, die sich direkt entladen lassen, sind die in Quadrant C erlebten - die stärker erregten negativen Gefühle wie Wut, Angst, Trauer, Ekel, Peinlichkeit. Entladung findet dann statt, wenn die betreffende Person ein solches Gefühl empfindet und sich gleichzeitig bewusst ist, dass die körperliche Erregung und der Aufmerksamkeitsgrad der gegenwärtigen Situation nicht angemessen ist. In diesem Fall ist die Aufmerksamkeit geteilt zwischen den Zuständen auf der rechten und auf der linken Seite von Tabelle 5.1. Man kann sich die Entladung vorstellen als eine Bewegung quer über die Abbildung (siehe Abb. 5.2) von Quadrant C nach A oder B, wie die Pfeile in der genannten Abbildung zeigen. Techniken zur Erreichung einer ausgewogenen Aufmerksamkeit, wobei der Klient jeweils in verschiedenen Quadranten anfängt, lassen sich wie folgt beschreiben:

a)      Dem Klienten helfen, ein stärkeres Gefühl der Sicherheit zu entwickeln. Wenn im Klienten ein negatives Gefühl erregt wird, ohne dass eine Entladung erfolgt, ist seine ganze Aufmerksamkeit in Quadrant C konzentriert. Der Berater wird in dem Fall versuchen, das Bewusstsein des Klienten zu stärken, dass er aktuell nicht bedroht ist, wird einen Teil seiner Aufmerksamkeit von seinen Schmerzen ablenken und auf den Quadranten B konzentrieren, um die notwendige Ausgewogenheit in der Aufmerksamkeit herzustellen. Entsprechende Techniken werden in Tabelle 5.1 Abschnitt A angegeben.

b)      Das Bewusstsein des Klienten für eine schmerzvolle Erinnerung vergrößern. Wenn sich die Aufmerksamkeit des Klienten größtenteils in den Quadranten A und B konzentriert, wird mittels Restimulierung interveniert, um ihn in die Lage zu versetzen, die schmerzvollen Gefühle wiederzuerleben und so ausgewogene Aufmerksamkeit herzustellen. Typische Techniken werden in Tabelle 5.1, in den Abschnitten B, C und D gegeben.

c)      Die Erregung des Klienten vergrößern. Das geschieht dann, wenn Klienten sich in einem niedrigen Erregungszustand befinden und Gefühle empfinden, die für den Quadranten D typisch sind. Zunehmende Erregung verwandelt Quadrant-D-Gefühle in C-Gefühle, so wird z.B. Depression zu Wut, Besorgnis zu Angst, Entfremdung zu Trauer. Eine direkte Bewegung von Quadrant D nach Quadrant A ist sehr schwierig. Durch die in den Abschnitten D und E dargestellten Techniken (siehe Tabelle 5.1) wird Erregung direkt oder indirekt vergrößert. Wenn der Klient bei den Schmerzen, mit denen er sich gerade auseinandersetzt, keine Fortschritte zu machen scheint, wird an dem gearbeitet, was ihn jeweils daran hindert, denn das sind die überlagernden Schmerzen. (Siehe Abschnitt G)

Die unter (a), (b) und (c) genannten Techniken gehen davon aus, dass der Klient über schwierige Ereignisse jüngeren Datums spricht - ein Vorgehen, dass für Neuanfänger beim Co-Counseling charakteristisch ist. In solchen Ereignissen zeigen sich grundlegende Muster, die dem Klienten in der Regel bewusst werden, wenn er mehrere miteinander verwandte Ereignisse bearbeitet. Dem Klienten fallen dann spontan frühere Vorfälle ein, was aber auch durch gezielte Fragen von selten des Beraters ausgelöst werden kann (siehe Tabelle 5.1 Abschnitt H). Sind bestimmte Muster erst einmal identifiziert, kann man direkt mit ihnen arbeiten und die Notwendigkeit entfällt, über Situationen zu sprechen, in denen die Muster erneut stimuliert werden. Diese Technik nennt man Richtunghalten, d.h. dass mit diesem therapeutischen "Motto" dem Muster eines Klienten gezielt und machtvoll widersprochen und so eine Entladung provoziert wird. (Siehe Tabelle 5.1, Abschnitt J.)

Tabelle 5.1: Angemessene Techniken für beobachtbares Klientenverhalten

Klientenverhalten

Angemessene Vorschläge vom Berater

A.   Hinter seinem Schmerz verschanzt bzw. darin verloren. Zu wenig Interesse an der Gegenwart, um ausgewogene Aufmerksamkeit herzustellen. Muss aus seinen Verletzungen herausgerissen werden.

Verschiebung der Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit auf etwas anderes als den Schmerz konzentrieren: mit einfachen beschreibenden Aufgaben; Handlungen, die Aufmerksamkeit erfordern; Aufforderung, positive Erinnerungen zu benennen.

B.   Unkonzentriertes Reden. Spricht über den Schmerz. Fragt "Warum?" Rationalisiert. Sucht Interpretationen.

Konzentration auf bestimmte Ereignisse

"Sagen Sie das im Präsens." "Beschreiben Sie das Zimmer." "Was hatte er an?" "Sprechen Sie direkt zu der betreffenden Person, so als wäre sie jetzt hier.“

C.   Bei dem Versuch, sich auf ein Ereignis zu konzentrieren:

a. bewegt sich der Klient in die Vergangenheit;

b. ist vage, weiß keine Details;

c. spricht in der indirekten Rede.

Schmerzhinweise intensivieren

Dem Klienten vorschlagen, auf den Schmerz hinweisende Zeichen zu wiederholen. Spricht laut; bezieht den Körper mit ein; benutzt den Berater dazu, Worte und Handlungen, die Schmerz verursachen, im Rollenspiel darzustellen.

D.   Gibt versteckte Hinweise auf Schmerz und negative Gefühle: betont z.B. bestimmte Worte oder stolpert über sie. Macht Pausen. Gesichtsausdruck oder Gesten verändern sich - Augen werden feucht, Faust ballt sich. Der Körper ist ganz oder stellenweise sehr angespannt. Kratzt sich. Macht aggressive oder negative Äußerungen, wertet sich oder andere ab. Sagt "müsste" oder "sollte".

Intensivierung durch Angehen gegen Schmerzhinweise

Dem Klienten vorschlagen, das Gegenteil der auf seinen Schmerz bezogenen Worte, Stellungen, Gesten zu sagen und zu tun. Wenn schlaff, körperliche Erregung vorschlagen; wenn sehr angespannt, Entspannung vorschlagen. Wenn der Schmerz als niederdrückend empfunden wird, Erleichterung durch Parodie oder Komik vorschlagen. Laute Stimme und Körperbeteiligung fordern. Versuchen, gegen Schmerz "anzugehen"; wenn das bereits geschieht, zur Beendigung ein "Juhu!" anhängen.

E.   Klient benutzt grundlegende Intensivierungstechniken, es kommt aber nicht zur Entladung.

 

F.   Berater ist sich nicht sicher, was beim Klienten passiert. Klient gibt zweideutige Zeichen. Verändert seinen Ausdruck ohne Kommentar.

Allgemeine Nachfrage"

Woran denken Sie?" "Was für Bilder haben Sie?" "Wo sind Sie gerade?"

G.   Klient macht bei den angesprochenen Schmerzen keine Fortschritte, sagt: "Es geht nicht weiter!" "Ich kann nicht!" "Das ist doch albern!"

Verstehen Sie die Worte des Klienten als versteckte Hinweise auf negative Gefühle - auch wenn "nebenbei" oder "ernsthaft" gesagt. Mit Intensivierung arbeiten wie unter E beschrieben.

Das Muster, das die Entladung hemmt, hat ihn fest im Griff. (Kontrollmuster)

Wie oben, aber schlagen Sie vor, sofort "dagegen anzugehen"; schlagen Sie Handlungen vor, die das Muster durchbrechen - Pappe zerreißen oder schauspielerisches Handeln, das mit Entladung einhergeht.

Klient ist im Konflikt darüber, was er will, bzw. empfindet miteinander konkurrierende Schmerzen.

Zwei Kissen hinlegen, eines für jede Konfliktpartei. Klient arbeitet zuerst auf dem einen, dann auf dem anderen Kissen, lässt jede Partei vollständig zu Wort kommen und versucht, auf beiden Seiten zu entladen

H.   Gibt verdeckte Hinweise auf Muster:

Verbindungen des Musters weiterverfolgen

a.    Klient verbalisiert eine Assoziation. "Das erinnert mich an einen Menschen/ einen Ort/ein Ereignis."

Konzentration auf diese Assoziation unterstützen. Je nach Situation Klienten anhalten, dazu eine Geschichte zu erzählen oder direkt zu der Schlüsselperson zu sprechen, an die er gedacht hat.

b.    Klient bearbeitet aktuelle Ereignisse, an denen Autoritätsfiguren beteiligt sind oder die auf Archetypen schließen lassen.

Nützliche Interventionen: "An wen erinnert Sie das?" "Zu wem sagen Sie das wirklich?" "Versuchen Sie, dasselbe zu Ihrer Mutter/ Ihrem Vater zu sagen."

c.    Der aktuelle Schmerz des Klienten scheint in keinem Verhältnis zum Anlas zu stehen.

Suchen Sie nach früheren Restsimulierungs-Auslösern: "Wann gab es Ihrer Erinnerung nach zum ersten Mal eine ähnliche Situation?" "Wie wäre es, wenn Sie einmal die Zeit zurückverfolgen, wann solche Sachen schon mal passiert sind?

I.   Der Klient entlädt seinen Schmerz.

Unterstützen Sie die Entladung:

 "Lassen Sie alles los!" "Es geht Ihnen besser, wenn Sie es herauslassen." Wenn die Entladung nachlässt, bringen Sie den Klienten dazu, den ursprünglichen "Auslöser" zu wiederholen.

J.   Klient identifiziert sich mit Hauptmuster, insbesondere mit chronischen Mustern.

Schlagen Sie Richtunghalten vor:

die anhaltende, energetische Wiederholung einer Richtung, mit entsprechender Haltung, Gestik etc.

K.   Klient taucht aus Entladungszustand auf und hat jede Menge Aufmerksamkeit zur freien Verfügung, sich auszusuchen, was er tun will. (In der Gegenwart)

Dem  Klienten  fallen  spontan  neue Erinnerungen ein, neue Gedanken, neue Einsichten, neue Lösungen. Klient verfügt über viel freie Aufmerksamkeit. In der Sitzung ist reichlich Zeit.

Dazu beitragen, dass der Klient sich genug Zeit für eine Nachbesprechung lässt.

"Nehmen Sie sich etwas Zeit, laut über diese Situation nachzudenken." "Inwiefern werden Sie in Zukunft anders sein?"

Ermutigen Sie den Klienten, damit weiterzumachen.

Ermutigen Sie: lautes Nachdenken über Vertiefung von Themen wie: "Meine Ziele für die nächsten fünf Jahre." Spezielle Handlungsplanung. Selbstausdruck, z.B. Tanzen, Singen, Malen.

L.   Das Ende der Sitzung nähert sich, der Klient ist aber noch in seinem Schmerz gefangen bzw. die Entladung ist noch nicht abgeschlossen.

Setzen Sie als erstes Techniken zur Verschiebung der Aufmerksamkeit ein, damit die Aufmerksamkeit des Klienten zum Ende der Sitzung möglichst weit weg von seinem Schmerz ist. Schlagen Sie als nächstes Zielübung vor - je nachdem, wie viel Zeit zur Verfügung steht und woran der Klient gearbeitet hat.

Vom Klienten erreichte Stufe

-  Unerledigte Geschichten.

Fragen Sie nach: "Was ist ungesagt geblieben?" d.h. es geht darum, unzensierte Gedanken in Worte zu fassen. Dann überlegen Sie getrennt davon, für das nächste Mal zu üben, z.B.: "Was könnten Sie das nächste Mal wirklich sagen?"

Es wird gezeigt, dass der gegenwärtige Schmerz aus der Vergangenheit stammt - besonders, wenn der Ursprung in der frühen Kindheit liegt.

Halten Sie dazu an, zwischen aktuellen Personen und vergangenem Schmerz zu unterscheiden. Z.B.: "Ich bin nicht mehr das Kind, das sich Liebe verdienen musste - Ich bin inzwischen ein starker, kompetenter Erwachsener."

-  Klient ist bereit, Veränderungen in seinem Leben im Lichte identifizierter Muster zu betrachten und zu maximieren.

Richtungen, die der Klient zur Entladung in der Sitzung benutzt hat, werden für solche Lebenssituationen festgehalten, in denen die Muster wahrscheinlich ausgelöst werden.

M.   Ende der Sitzung steht bevor.

Ermutigen Sie den Klienten, sich selbst energievoll zu feiern, mit Worten, die der Arbeit entsprechen, die er in der Therapie geleistet hat.

Verschiebung der Aufmerksamkeit

Dabei wechseln Körper und Geist von negativen Gefühlen über zu positiven, von den Quadranten C, D nach A, B in Abbildung 5.1., was darauf beruht, dass die Gefühle sich dem Brennpunkt der Aufmerksamkeit entsprechend anpassen. Das ist Teil der Alltagserfahrung jedes Menschen. Wissenschaftlich untersucht wurde es von Kovacs und Beck (Izard 1979). Mit dieser Strategie wird sowohl in der Therapiestunde gearbeitet, um ausgewogene Aufmerksamkeit zu erreichen, sowie auch am Ende, damit der Klient nicht von seinem Schmerz überwältigt nach Hause geht. Siehe Tabelle 5.1, Abschnitt A und L.

Feiern

Beim Feiern geht es darum, dass der Klient aktiv seine positiven Qualitäten, Fähigkeiten und Erfolge in Worte fasst und alles anerkennt, was er erreicht oder gelernt hat, um so sein Selbstwertgefühl zu vergrößern. Das Feiern führt dazu, dass der Klient sich bereitwilliger an seine positiven Fähigkeiten erinnert und in schwierigen Situationen nicht so leicht vom Schmerz überwältigt wird. Außerdem wirkt es chronischen Selbstabwertungsmustern entgegen, auch wenn das Feiern im wesentlichen in den Quadranten A oder B erfolgt, und demzufolge kommt es oft zur Entladung. Von der RC sind Feiertechniken unter der Bezeichnung "Beratung, deren Schwerpunkt nicht auf dem Schmerz liegt" noch einmal besonders hervorgehoben worden.

Zielübung

Bei dieser Strategie geht es darum, dass die Klienten üben, Muster zu durchbrechen und durch neue Handlungen und Gedanken zu ersetzen, die sie in ihrem Leben gerne sehen würden. Es wird deutlich gemacht, dass Reaktionen, die zu festen Mustern geworden sind, nur für Ereignisse der Vergangenheit relevant sind; Richtungen, die in der Sitzung zur Entladung des Schmerzes geführt haben, werden als nützlich betrachtet, wenn das Muster im Alltagsleben des Klienten aktiviert wird. Mit Hilfe von Zukunftsrollenspielen wird ein Muster wieder stimuliert und geübt, es zu durchbrechen. Das klare, schmerzfreie Denken, das nach dem Entladen auftritt, kommt zum Einsatz. Alle vier Hauptstrategien werden flexibel angewandt, wobei der Berater eine Strategie nach der anderen ausprobiert, bis es zur Entladung kommt. Der Berater beobachtet den Klienten sehr sorgfältig und regt die Wiederholung solcher Faktoren an, durch die eine Entladung ausgelöst wurde. Normalerweise entlädt ein Klient kurz und blockt dann ab. Aus taktischen Gründen wird so lange zur wiederholten Entladung im Zusammenhang mit einer bestimmten Situation oder einem Muster ermutigt, bis nichts mehr kommt. Das kann sich über viele Sitzungen erstrecken, wobei es nacheinander bei demselben Material zu mehr als einer Form der Entladung kommen kann. Die spontane Beendigung eines Entladungsprozesses lässt sich an einer deutlichen Entspannung der Gesichtsmuskeln und des Körpers feststellen; das Denken wird klarer, der betreffenden Person sind neue Informationen, spontane Interpretationen oder Handlungsideen hinsichtlich ihres Schmerzes zugänglich.

Der Veränderungsprozess in der Therapie

Die möglichen Veränderungen, die im Laufe der Therapie erfolgen können, lassen sich in Form einer Skala aufstellen:

Der Entwicklung von (1) nach (4) entspricht die Erlangung freier Aufmerksamkeit und die zunehmende Fähigkeit, außerhalb von Mustern zu denken und zu handeln. Auf allen Stufen, die sich allerdings überlappen, erfolgen größere Veränderungen, und während verschiedene Schmerzbereiche geöffnet werden, findet ein Wiederaufarbeiten von späteren Stufen hin zu früheren statt. Klienten mit psychischen Belastungen und Problemen, die ihr Leben beherrschen, fangen mit der Arbeit auf den Stufen l und 2 an. Aber auch wenn die Motivation, Beratung zu suchen, auf ein Problem der Stufen 3 oder 4 zurückgeht, brauchen die Klienten die Erfahrung der Stufen l und 2, um die Techniken zu erlernen und ihre chronischen Muster zu identifizieren, was beides notwendige Voraussetzungen für die Arbeit auf den Stufen 3 und 4 sind.

Emotionale Erste Hilfe

Zur Hauptarbeit auf dieser Stufe gehört, die Fähigkeit zur Entladung wiederzuerlangen. Wenn ein Klient psychisch leidet, wenn er in die Therapiestunde kommt, reichen das Wissen, dass es den Sicherheitsvertrag gibt, und die Zuwendung des Beraters vielleicht schon aus, damit er seinen Schmerz entlädt. Nach der Entladung fühlt der Klient sich von den negativen Gefühlen entlastet, und es erfolgt eine dramatische Verschiebung hin zu positiven Gefühlen und einem entspannten Aussehen.

Im allgemeinen setzt ein Prozess der Neubewertung ein - verschüttete Erinnerungen werden wieder hochgeholt, Probleme werden in einem neuen Licht betrachtet, neue Handlungsideen werden geboren. Solche Neubewertungen erleichtern das Überwinden von Mustern im Alltag.

Der erste wichtige Schritt ist also, zu lernen, dass Entladung Schmerz auflösen kann und dass der Zustand nach der Entladung angenehm ist und das klare Denken fördert. Dieses Lernen geht mit einer Verbesserung der Fähigkeit einher, bei sich selbst und anderen psychische Schmerzsituationen zu erkennen. Außerdem ist man dadurch besser in der Lage, eine breite Palette von Gefühlsäußerungen als wünschenswert zu akzeptieren und warme, unterstützende zwischenmenschliche Beziehungen als normal zu empfinden sowie Hoffnung und seine eigene Macht zu erleben.

Problemlösung

Die Phase der Problemlösung entwickelt sich ganz natürlich aus der emotionalen Ersten Hilfe, sobald eine spontane Neubewertung stattfindet. Man kann sich auch ganz bewusst und gezielt mit der Problemlösung befassen, wenn der Klient mühelos in der Lage ist zu entladen. Der Schwerpunkt wird wahrscheinlich darauf liegen, sich in bestimmten Situationen angemessen zu verhalten, zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Stellenbewerbung oder einem Scheidungsverfahren. Nach der Entladung werden die Klienten anfangen, mit Hilfe von Zielübungstechniken an einem weiteren Abbau bestimmter Muster in ihrem Leben zu arbeiten. Eine nützliche Technik ist hier, schwierige Zukunftssituationen in einem Rollenspiel vorwegzunehmen, dabei die entsprechenden Muster zu restimulieren und zu üben, sie zu durchbrechen.

In der Beraterrolle erlernte Fähigkeiten stehen der betreffenden Person auch in der Klientenrolle zur Verfügung. Bewusstes Hin- und Herwechseln zwischen positiven und negativen Gefühlen, kombiniert mit Vorschlägen, die der Klient sich selbst macht, führt dazu, dass ein Teil seines Bewusstseins die Aufgabe eines "Leiters" übernimmt.

Dieser Leiter überwacht Gefühle und Verhalten und leitet je nach Bedarf eine Verschiebung der Aufmerksamkeit oder eine Entladung ein. Man besitzt gewissermaßen einen "inneren Berater", der den Gefühlssturm von außen betrachtet und deshalb in der Lage ist, verändernd in das Geschehen einzugreifen. Dieser innere Berater wird in das Leben außerhalb der Therapie mitgenommen, und die Betreffenden sind zunehmend in der Lage, selbst bei starker psychischer Anspannung ein gewisses Maß an freier Aufmerksamkeit beizubehalten und sich nicht von ihren Mustern überrollen zu lassen.

Negative Gefühle werden als kontrastreicher und intensiver erlebt, gehen aber auch schneller wieder vorbei. So kann zum Beispiel Wut auf ganz bestimmte Ereignisse an die Stelle depressiver Gefühle treten. Scheff (1983) hat diese Unterschiede vor und nach der Entladung in Therapiestunden aufgezeigt. Ausgehend von bestimmten Problemen werden Klienten in die Lage versetzt, ihren Schmerz in Bereichen wie Sexualität zu bewältigen. Mit zunehmendem Können und den Veränderungen, die im Hinblick auf bestimmte Schmerzen erfolgen, zeigen die zugrundeliegenden Muster, einschließlich der chronischen Muster, sich deutlicher ab und können bearbeitet werden.

Persönlichkeitsveränderung

Eine Veränderung der Persönlichkeit setzt voraus, dass chronische Muster durchbrochen werden, d.h. solche Muster, die immer wieder stimuliert werden, die der Klient als "meine Persönlichkeit" empfindet - "so ist es nun mal". Die Auseinandersetzung mit chronischen Mustern kann einem das Gefühl geben, man müsste sich einen Arm oder ein Bein abschneiden, und viele Leute hören an diesem Punkt mit dem Co-Counseling auf. Solche chronischen Muster werden mit Hilfe einer Kombination aus intensiven Verträgen und dem massiven Einsatz von Richtunghalten in der Therapiestunde in Angriff genommen. Außerdem werden gezielt Richtungen eingesetzt, wenn sie im allgemeinen Lebenszusammenhang wieder stimuliert werden. Die Tatsache, dass manchmal ein intensiver Vertrag notwendig ist, macht deutlich, wie wichtig das Können des Beraters ist. Die RC hat sich ausführlich mit dieser Frage befasst und Methoden zur Vorbereitung und Unterstützung von Beratern entwickelt. Spezielle Persönlichkeitsveränderungen hängen von den Mustern ab, an denen gearbeitet wird. Allgemeine Veränderungen sind zum Beispiel ein gestärktes Selbstwertgefühl und eine größere Fähigkeit, sein eigenes Leben selbst in die Hand zu nehmen. Man ist besser in der Lage, sich selbst zu behaupten, und reagiert weniger leicht mit Rechtfertigungsdruck oder aggressiv, auf andere. Der innere Berater gewinnt an Stärke und Erfahrung.

Transpersonale Entwicklung

Die transpersonale Entwicklung umfasst soziale Befreiung und spirituelle Offenheit: Beide betreffen die Art und Weise, wie ein Klient mit Fragen umgeht, die jenseits der Individualität liegen. Wenn man zum Beispiel ein gewisses Maß an Freiheit von seinen eigenen chronischen Mustern erlangt hat, ist man in der Lage, die Wechselwirkung zwischen individuellen Mustern und gesellschaftlicher Unterdrückung zu erfassen. Muster gehören zwar zu Individuen, sind aber auch Ausdruck eines unbewussten kollektiven Bewusstseins. Die Auseinandersetzung mit kollektiven Mustern erfolgt in Gruppen, die dieselben gesellschaftlichen Erfahrungen haben. Für diese Form der Auseinandersetzung werden Mitglieder anderer Gruppen als Verbündete benötigt, die außerhalb stehen und eine kollektive ausgewogene Ausgewogenheit herstellen können.

Ähnlich wie bei der Arbeit mit Verpflichtungstechniken konzentriert sich das Durchbrechen chronischer Muster auf das Handeln in der Welt. In den Sitzungen wird mit Anweisungen gearbeitet, die Verpflichtungen zum Handeln in der Außenwelt darstellen. Der Betreffende übt außerhalb der Sitzungen ein Verhalten, das gleichzeitig seinen eigenen Mustern und denen der anderen, die ihn bedrängen, zuwiderläuft. Dadurch wird das Handeln in der Welt zu einer entscheidenden therapeutischen Technik, ohne die ein vollständiges Wiederauftauchen des Betreffenden aus seinen Mustern nicht stattfinden kann. Viele Berater sind auf diese Weise in Gemeindeverwaltungen, Wirtschaftsorganisationen und in der Politik tätig. In der RC-Literatur finden sich entsprechende Hinweise (z.B. Present Time, Januar 1986).

Auch Stufe 4 kann für den Klienten spirituelles Wachstum bedeuten. Die Erfahrung veränderter Bewusstseinszustände kann Klienten dazu anregen, in transpersonalen Bereichen zu arbeiten (z.B. Present Time, Januar 1986). Bei John Heron taucht das transpersonale Selbst als Teil seines Modells des Menschseins auf, und in seinem Co-Counselling-Handbuch von 1974 ist transpersonales Richtunghalten als eine weiterführende Technik aufgeführt. Er arbeitet an der Entwicklung weiterer Übungen mit transpersonalem Inhalt, die für die Co-Counsellingarbeit geeignet sind (Heron 1984).

 

Fallbeispiel

Beschrieben wird die Beziehung einer Klientin zu ihrer Mutter über mehrere Jahre. In diesem Zeitraum nahm die Klientin regelmäßig an gegenseitigen Beratungen mit verschiedenen Partnern teil. Dabei setzte sie sich immer wieder mit dieser Beziehung auseinander, obwohl auch andere Themen angesprochen wurden. Der Fortschritt erfolgte von Phase l bis 4.

Als sie mit dem Co-Counseling begann, war die Klientin Anfang dreißig, verheiratet und hatte ein vierjähriges Kind. Sie hatte eine volle Stelle als Lehrerin im Oberstufenbereich. Die Beziehung zu ihrem Mann, der ebenfalls mit Co-Counselling angefangen hatte, war stabil. Bei der Arbeit war J. enthusiastisch und bemüht, ihr Können zu vertiefen. Den Umgang mit anderen Menschen fand sie allerdings anstrengend. Unter einer selbstbewusst wirkenden Oberfläche war sie gehemmt und unsicher im Anknüpfen von Beziehungen. Sie war überpflichtbewusst und befand sich am Ende des Schuljahres normalerweise in einem Zustand nervlicher Erschöpfung. Seit Beginn ihrer Unterrichtstätigkeit hatte sie mehrere depressive Phasen gehabt, die auch schon zu Krankschreibung und medikamentöser Behandlung geführt hatten.

J. empfand ihre Beziehung zu ihrer Mutter als schwierig. Sie fühlte sich von ihrer Mutter abgelehnt, weil sie in deren Augen keine gute Hausfrau war und ihr kein Enkelkind gebar bzw. dann später wieder zur Arbeit ging, als das Kind noch klein war. Sie hatte häufig von ihrer Mutter zu hören bekommen, dass sie vergesslich, gedankenlos, nachlässig und lieblos sei.

J.s Eltern lebten in einiger Entfernung von ihr und kamen nur selten zu Besuch. Wenn sie kamen, regte J.s Mutter sich oft auf und schimpfte laut über J.s Unzulänglichkeiten und vergangene Fehler. J. war unfähig, sich zu wehren, brachte kein Wort heraus und fing leicht zu weinen an. Sowohl J. als auch ihr Vater wurden zur Zielscheibe für die Vorwürfe der Mutter. Nachdem sie herumgeschrieen hatte, war sie meistens einen ganzen Tag oder länger beleidigt, bis ihr Mann sie genügend besänftigt hatte. J. fühlte sich währenddessen hilflos und deprimiert und konnte ihr eigenes Leben erst wieder richtig weiterleben, wenn ihre Mutter wieder den Anschein der Normalität erweckte. Ein anderes Problem, das mit der Beziehung zu ihrer Mutter zusammenhing, war, dass J. nicht in der Lage war, sich zu verteidigen, wenn sie von Vorgesetzten angegriffen wurde, selbst wenn sie den Vorwand als ungerechtfertigt empfand. J. verhielt sich wie bei ihrer Mutter, sie brachte kein Wort heraus und weinte. Das war ihr bei ihrem vorherigen Arbeitgeber passiert, woraufhin sie äußerst wütend war und sich eine andere Arbeitsstelle suchte.

Kurz bevor J. mit dem Co-Counseling anfing, durchlief sie im Anschluss an eine typische Episode mit ihrer Mutter eine mehrwöchige Depression. Während der Ausbildung arbeitete J. mit dem Lehrer. In der Auseinandersetzung mit dem Lehrer, der die Rolle ihrer Mutter spielte, machte J. die Erfahrung, dass sie aufgab und ihr Selbstwertgefühl verlor. Nach dem Ausbildungswochenende fing J. an, zu zweit zu arbeiten. Im Anschluss an unangenehme Episoden mit ihrer Mutter setzte sie sich mit der Beziehung zu ihr auseinander. Sie war über das aktuelle Verhalten der Mutter wütend und über das, was ihre Mutter ihr ihrer Ansicht nach als Kind angetan hatte. Nach der Entladung fühlte J. sich stärker, und ihr war klarer, dass sie für die Probleme ihrer Mutter nicht verantwortlich war. Es fiel ihr leichter, mit ihrer Mutter zusammenzusein, ohne ihre Wut auf unangemessene Weise zum Ausdruck zu bringen. Bei diesem Prozess handelte es sich im wesentlichen um emotionale Erste Hilfe, die allmählich in den Problemlösebereich überging.

Dann machte ihre Wut einem Gefühl der Trauer Platz. J. fühlte sich ungeliebt von ihrer Mutter. Sie meinte, dass deren Liebe nicht bedingungslos gewesen sei, sondern von ihrer Anerkennung abhing, und J. hatte diese Anerkennung nie gewinnen können. Äußerungen wie "Ich will deine Liebe, Mama!" und "Ich bin in Ordnung, so wie ich bin!" bewirkten, dass sie lange weinte. Erst die Bestärkung "Natürlich hat meine Mutter mich geliebt - egal wie ich es empfunden habe, sie hat ihr Bestes getan" brachte eine Auflösung. J. merkte, dass ihr die Anerkennung von anderen immer noch wichtig war, erkannte in diesem Problem aber eine Nachwirkung der Vergangenheit, die in ihrem aktuellen Leben nicht mehr relevant war. Sie fing an, an ihren chronischen Mustern zu arbeiten.

Dann fand ein Schlüsselereignis statt. J.s Mutter wollte in ihrem Haus ein Zimmer zur Verfügung gestellt bekommen, um nicht benötigte Sachen unterzustellen. J. war zwar bereit, ihr Stauraum zur Verfügung zu stellen, aber kein ganzes Zimmer. Als Js. Eltern mit einer ganzen Wagenladung von Sachen vorfuhren, kam es zu einem langen Streit. In diesem Streit durchbrach J. mehrere Muster. Erstens war sie in der Lage, im Gegensatz zu sonst überhaupt zu reagieren und mit freier Stimme zu sprechen. Zweitens weigerte sie sich, über früheres Fehlverhalten zu diskutieren und konzentrierte sich ganz auf das Gespräch in der aktuellen Situation. J. hielt daran fest, dass sie die Sachen zwar unterbringen würde, aber so, wie es ihr am besten erschien.

Irgendwann wurde ihre Mutter hysterisch und drohte, J. körperlich anzugreifen, woraufhin J. ihr prompt eine Ohrfeige versetzte - etwas, woran sie früher nicht im Traum gedacht hätte. Ihre Mutter war entsetzt, schimpfte noch heftiger und fuhr schließlich überstürzt ab. J. fühlte sich inzwischen völlig hilflos und weinte. Sie war sich bewusst, dass sie mit ihrem Verhalten einige Muster durchbrochen hatte, aber das war nicht genug. Sie fuhr dann zu Freunden. Als sie dort ankam, weinte sie noch immer, und ihre Freunde rieten ihr, den Kontakt zu ihren Eltern abzubrechen, wenn ihre Begegnungen zu solchen Ergebnissen führten. J. war ganz klar: "Ich weiß, was los ist, meine Mutter will, dass ich mich wie ein hilfloses kleines Mädchen fühle. Tatsache ist aber, dass ich eine erwachsene Frau mit vielen Fähigkeiten bin und dass meine Mutter alt, krank und unsicher ist - und wenn sie nicht meine Mutter wäre, könnte ich Beratungsgespräche mit ihr führen." Dieser Gedanke brachte eine gewisse Erleichterung und Beruhigung, und sie sagte sich: "Ich kann morgen wieder nach Hause gehen und mich anders verhalten - ich kann von meinen beratenden Fähigkeiten Gebrauch machen." Und das tat sie auch.

Für J. war es insofern ein spektakulärer Vorfall, als sie ihre Muster eindeutig durchbrochen hatte. Sie wusste jetzt, dass sie sich nicht mehr wie ein kleines Kind zu fühlen und zu verhalten brauchte. Sie war sich in entsprechenden Situationen ihres "inneren Beraters" voll bewusst. Sie war jetzt in der Lage, innerlich einen gewissen Abstand zu behalten und geduldig mit ihrer Mutter zu sein.

In der Beratung arbeitete J. mit Anweisungen wie z.B. "Du hast keine Macht mehr über mich!" und "Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, das die Liebe seiner Mutter nicht gewinnen konnte." Daraus wurde dann: "Ich bin immer noch dieselbe, auch wenn ich keine Anerkennung von dir bekomme." Der nächste Schritt bestand darin, diese Anweisung auf Stresssituationen mit anderen zu übertragen und die Trauer mit Hilfe der Aussage "Ich habe einen Platz in diesem Universum, den mir niemand nehmen kann" zu entladen.

Ein Vorfall, bei dem J. mit ihrer Mutter am Telefon sprach, machte ihre Fortschritte deutlich. Nachdem J. anfangs gut damit umgehen konnte, dass sie von ihrer Mutter angegriffen wurde, fühlte sie sich plötzlich sehr unter Druck und gestresst. Sie legte den Hörer auf und überlegte, mit wem sie ein beratendes Gespräch führen könnte. Trotz aller Wut und Verletztheit war ihr aber klar, was sich abspielte - sie war wieder in die "Kleinmädchen"-Verzweiflung zurückgefallen. Ihr "innerer Berater" gab ihr dann Anweisungen zur Entladung, um wieder in ihren Normalzustand zurückzukehren. Es folgten zehn Minuten, in denen sie intensiv ihre schmerzvolle Anspannung entlud und sich dann selbst feierte. Noch vor ein paar Jahren hätte es zehn Tage gedauert, bis sie sich von einem solchen Vorfall erholt hätte.

Zu einem weiteren Fortschritt kam es, als J. ihre eigene Tochter einer Gruppe von Leuten mit den Worten vorstellte: "Das ist meine wunderbare Tochter." Ihre Gefühle entluden sich in anhaltendem Weinen. Im Laufe der Zeit wurde diese Richtung glaubwürdig und Anlas zum Feiern. Diesem Umschwung entsprach, dass sie sich, als ihr Vater im Sterben lag, mit viel Kraft um ihre Eltern kümmerte und sich, wenn nötig, mit ihrer Mutter über deren Missbilligung auseinander setzte. J. wurde mit vielen hysterischen Ausbrüchen ihrer Mutter fertig, die jedes Mal sagte, sie wolle J. nie wiedersehen. Ihre derzeitige Beziehung zu ihrer Mutter ist freundschaftlicher denn je. Das Verhalten ihrer Mutter hat sich kaum verändert, aber J. lässt sich von deren Schwierigkeiten nur noch selten in die Ecke drängen. J. merkt, wenn sie wütend wird, vermeidet es, die Wut gegen ihre Mutter zu richten, und entlädt sie später. Entsprechende Veränderungen haben sich auch im Hinblick auf andere Autoritätspersonen ergeben. Vor kurzem setzte J. sich mit einem schwierigen, manipulativen Verwaltungsbeamten auseinander, der sie herabkanzelte und ihre Version des Vorfalls, um den es ging, einfach abstritt. J. bereitete sich auf das entscheidende Treffen vor, blieb ruhig, obwohl er sie drangsalierte, wies objektiv nach, dass er im Unrecht war und konnte seine Zustimmung gewinnen, die Angelegenheit richtig zustellen.

J. ist insgesamt weniger unsicher und weniger abhängig von der Anerkennung anderer. Sie wird als warm und liebevoll erlebt, und es fällt ihr leicht, befriedigende Beziehungen anzuknüpfen. Ihr Vertrauen in ihr berufliches Können hat stark zugenommen, und sie fühlt sich nach einer anstrengenden Arbeit nicht mehr ausgelaugt. Sie setzt sich nach wie vor mit einigen Aspekten ihrer chronischen Muster auseinander. Insbesondere damit, andere zwar nicht abzuwerten, aber trotzdem bereit zu sein, ihre destruktiven Muster zu unterbrechen. Sie befindet sich im Übergang zu Phase 4 und fördert soziale Veränderung durch effektives Handeln.


Anmerkung zur Nomenklatur: Die hier beschriebenen Prozesse und Vorstellungen sind allgemein als Co-Counselling bekannt. "Re-evaluation Counseling" (RC) und "Co-Counseling International" (CCI) sind die Namen internationaler Netzwerke.

 

Literaturverzeichnis

(Auszug deutscher Literatur)

Martin, David G.: Gesprächspsychotherapie als Lernprozess. Müller, Otto, 1975

Seligman, M.: ErlernteHilflosigkeit. München, Psychologie Verlags Union, 1986.