Schatten
Die Begegnung mit sich selber bedeutet zunächst die Begegnung
mit dem eigenen Schatten. Der Schatten ist allerdings ein Engpass,
ein schmales Tor, dessen peinliche Enge keinem, der in den
tiefen Brunnen hinuntersteigt, erspart bleibt. Man muss aber
sich selber kennen lernen, damit man weiß, wer man ist,
denn das, was nach dem Tore kommt, ist Unerwartetherweise eine
grenzenlose Weite voll unerhörter Unbestimmtheit, anscheinend
kein Innen und kein Außen, kein Oben und kein Unten,
kein Hier oder Dort, kein Mein und kein Dein, kein Gutes und
kein Böses. Es ist die Welt des Wassers, in der alles
Lebendige suspendiert schwebt, wo das Reich des "Sympathicus",
der Seele alles Lebendigen, beginnt, wo ich untrennbar dieses
und jenes bin, wo ich den anderen in mir erlebe, und der andere
als Ich mich erlebt. Das kollektive Unbewusste ist alles weniger
als ein abgekapseltes, persönliches System, es ist weltweite
und weltoffene Objektivität.
Carl Gustav Jung (* 1875 in Kesswil; † 1961 in Küsnacht,Schweizer
Mediziner und Psychologe und der Begründer der Analytischen
Psychologie) Aus: Bewusstes und Unbewusstes
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